Bei aller Unterschiedlichkeit das Gemeinsame betonen, Raum für Begegnung schaffen und Demokratie erlebbar machen – das waren die Ziele, die im Verlauf des Demokratiekongresses der Allianz für Weltoffenheit immer wieder genannt wurden. In Diskussionsrunden, Präsentationen und Barcamps diskutierten die Teilnehmer darüber, wie die Demokratie gestärkt werden kann und wie Intoleranz und Menschenfeindlichkeit am besten begegnet wird.
„Asylbewerber Ihres Vertrauens. Spreche Hochdeutsch.“ Mit einem Pulli dieser Aufschrift geht Ali Can, Gründer der „Hotline für besorgte Bürger“, zu Demonstrationen von u. a. Pegida. Oft dabei: Süßes wie Schoko-Osterhasen oder -Nikoläuse, die er dort verteilt. Damit erreicht er, dass die Demonstranten von sich aus auf ihn zukommen und ihn ansprechen – und das meist freundlich. „Auf Augenhöhe diskutieren, die Bedürfnisse hinter den Parolen wahrnehmen, Fragen stellen“ – das tut Ali Can, und zwar mit Herz und Humor, wie in seinem Vortrag deutlich wurde. Damit erreicht er die Menschen. „Rassismus sollte man bekämpfen. Rassisten nicht!“, so eines der Statements des 23-Jährigen, der 1995 mit seinen Eltern aus der Türkei nach Deutschland kam.
Ali Can setzt das in der Praxis um, worüber auf dem Demokratiekongress viel gesprochen wurde: Demokratie erlebbar machen, in Dialog treten mit allen Menschen, auch und besonders mit denen, die die freiheitlich-demokratische Grundordnung infrage stellen. Die „Allianz für Weltoffenheit, Solidarität, Demokratie und Rechtsstaat – gegen Intoleranz, Menschenfeindlichkeit und Gewalt“ ist eine zivilgesellschaftliche Vereinigung, die im Februar 2016 von u. a. dem Deutschen Kulturrat, dem DGB und den großen Religionsgemeinschaften gegründet wurde. Der VFLL gehört zu den inzwischen rund 220 Unterstützern der Allianz. Zum Demokratiekongress waren Vertreter aller Organisationen und Interessierte ins Kölner Maternushaus geladen.
„Demokratie ist nichts, was wie Erbgut automatisch weitergegeben wird. Sie muss immer wieder neu erlernt und verteidigt werden“, machte Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, in seiner Begrüßungsrede deutlich. In den beiden anschließenden Plenen diskutierten Vertreter der neun Gründungsorganisationen der Allianz darüber, wie die Flüchtlings- und Integrationsdebatte auf einer sachlichen Ebene geführt werden und was jeder für Demokratie tun kann.
Auf die Kultur bezogen fand Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats, deutliche Worte: „Wenn wir etwas in Deutschland nicht brauchen, dann ist es eine Leitkultur.“ Er berichtete von dem Druck der neuen Rechten, dem der Kulturbereich ausgesetzt sei, etwa mit der Forderung, dass an deutschen Theatern ausschließlich Stücke deutscher Autoren von deutschen Schauspielern aufgeführt werden sollten. Gleichzeitig sei es wichtig, das Gespräch zu suchen und die Debatte mit den Menschen, die diese Meinung vertreten, direkt zu führen, was auch geschehe. Olaf Zimmermann stellte auch das Positive heraus: „Die Kultur in Europa und der Welt ist unglaublich weltoffen. Das ist eine große Chance, und es ist wichtig, dies zu zeigen. Ich bin nicht verzagt, wenn ich sehe, wie viel Gemeinsamkeiten sich in den letzten ein, zwei Jahren in der Zivilgesellschaft gebildet haben.“ Auf die kritische Bemerkung aus dem Plenum, dass Kultur ja nur einen kleinen Teil der Gesellschaft erreiche, entgegnete Zimmermann: „Wir müssen daran arbeiten, den Kulturbereich weiter zu öffnen, um die Gesellschaft insgesamt widerzuspiegeln. Dafür brauchen wir in verantwortlichen Positionen noch mehr Menschen, die Vielfalt leben.“
Um die Herausforderung, ganz unterschiedliche Menschen und Meinungen in die eigene Organisation zu integrieren, ging es im zweiten Plenum. Auch hier sei es wichtig, auf die Menschen zuzugehen, ihnen auf Augenhöhe zu begegnen, sie und ihre Sorgen und Ängste ernst zu nehmen, die den Parolen und Feinbildern zugrunde liegen. Also mit den Menschen, die sich oft abgehängt fühlen, über das diskutieren, worüber sie wirklich sprechen wollen – etwa fair behandelt zu werden.
Die persönliche Begegnung sei durch nichts zu ersetzen. Hier könnten Vorurteile abgebaut werden und würden die demokratischen Grundsätze ge- und belebt. Außerdem seien Politik und Medien gefordert: Beide müssten die Hintergründe mehr erklären, und die Politik müsse dafür sorgen, dass es allen Menschen möglich ist, Menschen anderer Kulturen zu begegnen. „Eine Art europäisches Erasmus-Programm für alle jungen Menschen in Europa“ ist eine Idee, die Peter Clever von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände nannte. „Die Begegnung junger Menschen ist so wichtig. Gleichzeitig werden die Mittel dafür gekürzt“, beklagte Lisi Maier, Vorsitzende des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend.
Wie Begegnung und Beteiligung konkret gelebt werden kann, zeigten auch andere Organisationen: Farhad Dilmaghani, Vorsitzender von „DeutschPlus – Initiative für eine plurale Republik“ nannte den „Tag der offenen Gesellschaft“ am 17. Juni als Beispiel. Bürgerinnen und Bürger, Initiativen und Organisationen sind aufgerufen, an diesem Tag Tische und Stühle aufzustellen und damit für Begegnung im öffentlichen Raum zu sorgen. Denn: „Die Tafel ist seit jeher ein Symbol für Geselligkeit, Gastfreundschaft, Gemeinsamkeit und Begegnung. An einer Tafel wird auch diskutiert und gestritten. Aber sie bietet den Rahmen für einen respektvollen, menschlichen Umgang miteinander“, ist auf der Internetseite zu diesem Aktionstag unter der FAQ-Frage „Muss es eine Tafel sein?“ zu lesen.
„Wie kriegen wir ein Erleben in Demokratie hinein? Vor dieser Frage stehen auch wir“, erzählte Prof. Dr. Kai Niebert, Präsident des Deutschen Naturschutzrings. Die Umweltschutzorganisation hat ein Experiment gestartet: Ein Gremium zum Thema Atomkraft wurde nicht nur mit Experten, sondern zusätzlich mit drei zufällig ausgewählten Bürgern besetzt. „Die Arbeit mit ihnen ist anstrengend, aber auch belebend. Denn sie trauen sich, Fragen zu stellen, und bringen neue Ideen ein“, so Niebert.
Rund 350 Kongressteilnehmer verfolgten den ganzen Vormittag über aufmerksam das Geschehen auf der Bühne im großen Saal des Maternushauses. Die anschließende Diskussion mit dem Publikum brachte weitere interessante Impulse.
Am Nachmittag zeigten Initiativen wie „No Hate Speech“ und Einzelpersonen wie Ali Can in kurzen Präsentationen, was sie konkret für Begegnung, Miteinander und Demokratie tun. Danach fanden sich die Teilnehmer in Barcamps zusammen und entwickelten weitere Ideen.
Auf dem Kongress wurde deutlich: Jeder ist gefordert, sich für Demokratie einzusetzen – sowohl auf institutioneller als auch auf persönlicher Ebene. Und: Es kann auch jeder etwas tun – sei es im „Kleinen“ direkt vor der Haustür oder im „Großen“ innerhalb einer Organisation.
Großes Bild: Sina Laubenstein zeigte, was die „No Hate Speech“-Kampagne gegen Hass im Internet tut: „Mit Herz und Humor kontern.“ (Alle Bilder: Inga Beißwänger)