Inga Höltmann ist bei den Lektorentagen zu Gast und diskutiert im Podium über das Thema „Arbeiten 4.0“. Die Wirtschaftsjournalistin beschäftigt sich mit Themen wie Diversity und Kulturwandel in Unternehmen, New Work und Digital Leadership. Im Interview stellt sie klar, dass Diversity mehr ist als Frauenförderung, und erläutert, warum jeder den Digital Leader in sich entdecken sollte.
Frau Höltmann, Sie beschäftigen sich mit neuen Arbeitswelten. Sie meinen, dass es für die Herausforderungen der Digitalisierung Digital Leaders braucht. Was ist ein Digital Leader? Was sind seine – bzw. ihre – Aufgaben und Ziele?
Jeder sollte den Digital Leader in sich entdecken! Digital Leadership ist eine Führungsform, die unabhängig von einer hierarchischen Struktur im Unternehmen ist. Denn das ist der Kern dieses modernen Führungsverständnisses: Jeder im Unternehmen übernimmt Verantwortung für sich und andere, kommuniziert auf Augenhöhe, ist offen für Veränderungen. Die Welt da draußen ist schon heute zu komplex, als dass ein einzelner Chef das noch alles überblicken könnte. Das ist im Übrigen auch die Idee hinter meiner Accelerate Academy: Wir machen fit für die neue Arbeitswelt, ohne dass wir so tun, als könnten wir die Zukunft voraussehen. Stattdessen bieten wir den Rahmen an, in dem Unternehmer herausfinden können, was ihre nächsten Schritte sein könnten. Auch das ist Digital Leadership: diese Verantwortung anzunehmen und sich auf den Weg zu machen.
Geht es beim Diversity-Ansatz nur um die Förderung von Frauen durch Unternehmen? Was können Frauen selbst tun, um – in einem Unternehmen, als Selbstständige und/oder in Organisationen wie Verbänden – dort anzukommen, wo sie hinwollen?
Diversity wird leider oft noch als Frauenthema wahrgenommen. Auch für mich war das der Einstieg in dieses Thema, ich habe vor ein paar Jahren ein weibliches Wirtschaftsmagazin mitgegründet. Unsere leitende Fragestellung war: Wie sollte die Arbeitswelt beschaffen sein, dass Frauen dort ganz natürlich ihren Platz finden können, genau wie die Männer? Doch schon bald wurde mir klar: Die Frage ist zu eng. Ich eröffnete mir das weite Feld der Neuen Arbeit und stellte fortan die Frage: Wie sollte die Arbeitswelt beschaffen sein, damit alle ihren Platz dort finden können? Und darum geht es für mich bei Diversity – dass wir aufhören, über Geschlechter, soziale oder kulturelle Hintergründe, sexuelle Ausrichtungen oder das Alter zu sprechen, weil jeder ganz selbstverständlich seinen Platz im Unternehmen hat. Was jede dafür tun kann? Den Digital Leader in sich entdecken und Veränderungen anstoßen und einfordern.
82 Prozent der VFLL-Mitglieder sind Frauen. Also alles richtig gemacht in Sachen Diversity? Liegt das Heil für Frauen in der Selbstständigkeit?
Über 80 Prozent Frauen ist für mich nicht besonders divers – wenn in einem Feld eines der Geschlechter überrepräsentiert ist, liegt meistens etwas im Argen. In manchen Feldern kommen Frauen dann zum Zuge, wenn die Verhältnisse prekärer werden und die Gehälter sinken, das hat man immer wieder sehen können. Grundsätzlich begrüße ich es sehr, dass sich immer mehr Frauen für eine Selbstständigkeit entscheiden, doch auch hier lohnt ein genauerer Blick auf die Gründe: Manchmal verlassen Frauen ein Unternehmen, weil sie das Gefühl haben, ihre Bedürfnisse zählten zu wenig oder sie kämen nicht voran. So schön es ist, wenn Frauen gründen – wenn sie es aus diesen Gründen tun, sollte die Lösung anders aussehen.
Freie Lektorinnen und Lektoren sind ja schon lange mittendrin in den – für sie gar nicht so neuen – Arbeitswelten: selbstständig, flexibel und bei der Digitalisierung up to date. Werden diese Tendenzen in der gesamten Arbeitswelt zunehmen? Oder anders gefragt: Wie wird die Arbeitswelt im Jahr 2037 aussehen?
Ohne Frage: Ja, die Arbeitswelt wird sich weiter wandeln. Und es wird auch immer schneller passieren – so langsam wie heute werden die Veränderungen nie wieder vor sich gehen. Ich verstehe das aber als großes Versprechen, weil es viel Raum eröffnet, seine eigene Arbeit zu gestalten. Sie wird in Zukunft technologisierter, unabhängiger und vielfältiger sein. Das wird uns einiges abverlangen, vor allem den Willen, sich kontinuierlich mitzuverändern. Doch unterm Strich erleben wir gerade einen Umbruch in unserer Arbeitswelt, wie wir ihn vielleicht noch nie in der Geschichte der Menschheit erlebt haben – mit all den Chancen, die damit einhergehen.
Interview: Inga Beißwänger
Bild: Axel Kuhlmann
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