Beim dritten Mal wird eine Veranstaltung im Rheinland zum Brauchtum: Nach diesem ungeschriebenen Gesetz ist das Literaturcamp Bonn nun in die Brauchtumsliste aufgenommen. Am 11. Mai trafen sich Lektorinnen, Autor*innen und andere Literaturbegeisterte zum Austausch und zur gegenseitigen Inspiration im Haus der Bildung. Der VFLL war wieder Sponsor und machte aufs freie Lektorat aufmerksam.
Lautes Gelächter brach im großen, bis auf den letzten Platz gefüllten Saal aus, als ein Autor in der Vorstellungsrunde seinen Hashtag nannte: #diesesJahrwirdbestimmtmeinRomanfertig. Das dürfte wohl so einigen der Schreibenden nur zu bekannt vorkommen.
Rund 130 Literaturbegeisterte – darunter viele Autor*innen, die über einen Verlag oder per Selfpublishing veröffentlichen (oder noch davon träumen) – ließen sich überraschen, was das dritte Literaturcamp Bonn bot. Überraschen deshalb, weil niemand vorher so genau weiß, was passiert.
Denn das ist das Prinzip eines Barcamps: Es gibt kein zuvor festgelegtes Programm, sondern ein Teil der Anwesenden bietet selbst sogenannte Sessions an. Seit dem ersten Barcamp 2005 in den USA verbreitet sich diese offene Veranstaltungsform in Nordamerika, Europa und Asien. Der Vorteil: Sie bietet viel Raum für Vernetzung und Austausch. Außerdem sorgen die unterschiedlichen Angebote für viel Abwechslung: Vorträge, Übungen, Frage- und Diskussionsrunden und Mischungen daraus. Natürlich ist es nicht möglich, in einer 45-minütigen „Session“ ein Thema tiefgreifend zu behandeln. Mit diesem hehren Anspruch geht jedoch vermutlich niemand zu einem Barcamp.
Wer sich zum ersten Mal auf einem Barcamp wiederfindet, könnte zu Erkenntnissen wie diesen gelangen:
– Es ist nicht unhöflich, während der Sessions aufs Smartphone zu starren. Das sind nur die fleißigen Twitter*innen, die der Aufforderung nachkommen, den Hashtag (hier: #LitCampBN19) zu verbreiten, auf dass er trendet – also in die Twitter-Trends kommt, was sozusagen die Charts dieses Social-Media-Kanals sind.
– Ebenso wenig unhöflich ist es, eine Session vor deren Ende zu verlassen. Diese Notwendigkeit kann sich schon allein ergeben, weil zeitgleich mehrere interessante Sessions stattfinden. Und/oder um die Schlange auf der engen Damentoilette in der Pause zu umgehen. (Der einzige Teil in dem 2015 eröffneten, sehr modernen Gebäude, der architektonisch nicht gelungen ist, was bei Frauenüberschussveranstaltungen besonders auffällt.)
– Duzen und Anrede beim Vornamen ist üblich.
– Netzwerken lautet die Devise, oder anders gesagt: keine Pause ohne Gesprächspartner*in(nen)
– Jede und jeder ist Expert*in und kann sich trauen, eine Session anzubieten! Dieses Prinzip ist VFLL-Mitgliedern als kollegiales Coaching bekannt.
„Wie deine Lesung rockt“, „Gagschreiben für deine nächste Scheidungsfeier“, „Lektorat – Fragen und Antworten“, „Europa und Literatur“, „Storytelling und Kreativmethoden“, „Rollenklischees in Kinderbüchern“, „Podcasting als Sonderform des Buchbloggens“ lauteten nur einige wenige der 33 Angebote.
VFLL-Kollegin Ellen Rennen aus der Regionalgruppe Köln/Bonn beantwortete in ihrer Session Fragen wie: „Wie gehst du ans Manuskript ran?“, „Wie funktioniert die Zusammenarbeit?“, „Wer stellt die Lektorin – Autorin oder Verlag?“ Wichtig ist es, in einem guten Austausch mit Autor*in und ggf. Verlag zu sein. Sie betonte, dass die Änderungen und Anmerkungen einer Lektorin immer nur Vorschläge sind und die Autorin entscheidet, was sie damit macht – annehmen, ablehnen oder eine weitere, eigene Lösung finden. Ob es schon mal vorgekommen sei, dass die Änderungen nicht angenommen wurden und das Buch dann so schlecht gewesen sei, dass Ellen nicht im Impressum genannt werden wollte? Nein, denn die Autorinnen und Autoren beauftragen ja eine freie Lektorin, weil sie ihr Manuskript überarbeiten lassen wollen. Und auch hier gelte wieder: Die Lektorin macht nur Änderungsvorschläge und Anregungen.
„Mir gefällt das Barcamp-Format. Schade, dass ich nicht schon früher aufs Literaturcamp gekommen bin“, sagte die Kölner VFLL-Kollegin Yvonne Joosten über ihr erstes Barcamp. „Ich bin hier, um Kontakte zu knüpfen und weil ich überlege, als freie Lektorin ins Selfpublishing einzusteigen.“
Florine Calleen ist ebenfalls aus Köln nach Bonn gekommen und war schon auf vielen Barcamps, nur noch nicht auf diesem. „Das Literaturcamp ist ein kleines Barcamp mit enormer Themenfülle. Das beeindruckt mich. Und obwohl ich Sachbücher schreibe, kann ich viele Anregungen mitnehmen für meine Bücher und auch Social-Media-Kurse. Alles ist rundum gelungen.“
Da die Anwesenden das Programm selbst gestalteten, hatten die Initiatorinnen und Organisatorinnen Uschi Fuchs und Ute Lange „nur“ am Anfang und Ende zu tun: Humorvoll führten sie auf der Bühne des großen Saals wieder durch Begrüßungsrunde, Sessionplanung, Verlosung und Feedbackrunde.
Und am Ende gab es großen Applaus für die gute Nachricht: Es wird ein #LitCampBN20 geben!
Großes Bild: der Session-Plan des Tages mit sehr abwechslungsreichem Programm
(alle Fotos: © Inga Beißwänger)
Inga Beißwängers Website und VFLL-Profil
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Ein lebendiger Tag von und für Autoren (Literaturcamp 2018)