Porträts der VFLL-Gründungsmitglieder Annette Gillich-Beltz und Lisa Dorner

25 Jahre VFLL: Wie war das damals bei der Gründung?

1.300 Menschen starkes Netzwerk, Interessenvertretung in Politik und Gremien, Instanz im deutschsprachigen Raum und immer mal wieder auch emotionales Sicherheitsnetz: Der VFLL hat in seinen 25 Jahren viel erreicht. Aber wie hat eigentlich alles angefangen? Ein Gespräch mit zweien, die es wissen müssen.

Der VFLL feiert dieses Jahr sein Jubiläum, aber gerade neue Mitglieder kennen nur den Ist-Zustand. Lisa Dorner und Annette Gillich-Beltz waren bei der Gründung dabei. Hier erzählen sie von ihren ganz persönlichen Erinnerungen an diese Zeit des Aufbruchs und berichten, wie sie die Anfänge erlebt haben.

Wie ist die Idee zur Gründung eines Vereins entstanden?

Lisa: Die Idee entstand Mitte bis Ende der Neunzigerjahre. Wir wollten einen Verein gründen, der die Interessen von freien Lektorinnen und Lektoren vertritt. Ich begann 1997 als freie Lektorin zu arbeiten, und damit war ich nicht allein. Die Neunziger waren eine Zeit des Umbruchs, viele feste Stellen fielen weg. Die Verlage entdeckten das Outsourcing als gute Möglichkeit, um Personalkosten zu reduzieren.

„Der Begriff ‚Outsourcing‘ wurde 1996 bei der Wahl des deutschen Unworts des Jahres von der Jury als ‚Imponierwort, das der Auslagerung/Vernichtung von Arbeitsplätzen einen seriösen Anstrich zu geben versucht‘, bezeichnet.“
Quelle: Wikipedia

Annette: Nach meinem Germanistikstudium war ich rund zwei Jahre lang angestellt. Anfang 1994 habe ich mich dann aus eigenem Antrieb selbstständig gemacht. Ich kam ganz gut zurecht, suchte aber immer wieder nach Möglichkeiten und Kontakten, um mich mehr zu vernetzen.

Lisa: Die ersten Kontakte habe ich bei den BücherFrauen geknüpft. Dort war ich Mitglied, seit ich meine erste Stelle als Lektorin/Redakteurin angetreten hatte. Als ich dann begann, frei zu arbeiten, habe ich natürlich auf mein vorhandenes berufliches Netzwerk zurückgegriffen. So traf ich viele, die in einer ähnlichen Situation wie ich waren und beruflichen Austausch suchten. Erste Treffen und Workshops fanden noch im Rahmen von Veranstaltungen der BücherFrauen statt, bis wir Freie uns von ihnen emanzipierten. Das war im Grunde die Keimzelle des VFLL.

Annette: Anfang 1999 habe ich erfahren, dass es im Übersetzerkolleg Straelen ein Treffen von freien Lektorinnen und Lektoren geben soll. Straelen war nicht weit – ich wohnte damals in Duisburg –, also bin ich spontan hingefahren. Und sozusagen in die Gründungssitzung des VFLL reingeplatzt: Das war am 30. Januar 1999.

Lisa: Während es zu Gehältern von Festangestellten verlässliche Informationen gab, fehlten ebensolche zu den Honoraren von Freien. Denn dass der Beruf des Lektors frei ausgeübt wird, war zu dieser Zeit noch neu und vergleichsweise selten. Der Verband wurde deshalb mit dem Ziel gegründet, Lektorat als freien Beruf zu etablieren und unter anderem beispielsweise Grundlagen für angemessene Honorare zu schaffen.

Wie ging es dann konkret los? Was waren eure Aufgaben?

Annette: In Köln und Frankfurt gab es bereits Regionalgruppen, es sollten nun weitere entstehen. Das war der Auftrag an mich und Elke Eßmann aus Dortmund, die ebenfalls in Straelen dabei war. Elke sollte die Dortmunder Gruppe gründen und ich die Gruppe Rhein-Ruhr-Wupper. Das hieß, Leute anrufen und Briefe verschicken, um für den Verband zu werben, und natürlich Treffen zu organisieren. Das alles noch ohne die zahlreichen Möglichkeiten des Internets, auch Mails waren noch nicht sehr verbreitet. Aber es hat funktioniert.

E-Mail als allgemeines Kommunikationsmittel entwickelte sich in den 90er Jahren. Der NDR erzählt hier, wie die erste E-Mail in Deutschland landete.

Das erste von mir organisierte Treffen fand am 1. März 1999 in Düsseldorf statt, danach haben wir uns alle zwei Monate getroffen. Die Dortmunder Gruppe hat sich auch schnell gefunden. Aber mit der Zeit hat es sich herausgestellt, dass die Gruppen jeweils zu klein sind. Daher gab es im November 2000 eine Fusion und die Regionalgruppe Rhein/Ruhr wurde gegründet. Uns gibt es also auch schon 25 Jahre.

Lisa: Nachdem in Straelen beschlossen worden war, einen Verein zu gründen, haben Carla Meyer und ich uns um die Eintragung des VFLL in das Vereinsregister beim Amtsgericht Frankfurt am Main gekümmert, weshalb meine damalige Privatanschrift die erste offizielle Anschrift des VFLL ist. Nachdem wir die Korrekturen unserer Satzung, die das Gericht forderte, umgesetzt hatten, wurde der VFLL schließlich am 29.03.2000 in das Vereinsregister aufgenommen. Gründungsvorstand waren gem. § 26 BGB Dr. Carla Meyer, Elisabeth Dorner, Arnd Kösling, Monika Rohde und Anne Stalfort. Auf der anschließenden Mitgliederversammlung des VFLL in Bielefeld vom 24. bis 25. Juni 2000 wurde dann der erste Vorstand von den anwesenden Mitgliedern gewählt. Als Einzige habe ich nicht mehr kandidiert, an meine Stelle trat Dietmar Töpfer. Der Grund war, dass ich im Jahr 2000 von Frankfurt nach Berlin umgezogen bin mit dem Auftrag, dort eine weitere Regionalgruppe zu organisieren. Und ein Jahr später war es dann auch so weit: 2001 wurde die Regionalgruppe Berlin offiziell gegründet. Wir können also im nächsten Jahr ein Jubiläum feiern.

Was war für euch ein Aha-Erlebnis, als der Verband gegründet wurde?

Annette: Zu entdecken, dass es noch mehr gibt, wie mich – zum Beispiel wohnte gleich bei mir um die Ecke ebenfalls eine freie Lektorin. Es war toll, Gleichgesinnte zu treffen und zu sehen, dass wir alle die gleichen Themen haben. Den Austausch empfand ich von Anfang an als unglaublich hilfreich.

Lisa: Das ging mir genauso! Vor allem, da ich vorher nur die Welt der Angestellten kannte und von freiem Arbeiten keine Ahnung hatte.

Was waren prägende und besondere Erlebnisse?

Annette: In den ersten Jahren fanden die Sitzungen von Vorstand und Sprechern der Regionalgruppen im Übersetzerkolleg Straelen statt. Das Haus hat eine ganz besondere Atmosphäre, und es waren immer tolle Treffen! Ich habe es genossen, mit Gleichgesinnten über den Alltag, die Probleme, die Bedürfnisse von uns freien Lektorinnen und Lektoren zu diskutieren … und abends lecker Wein zu trinken, den Carla mitgebracht hatte.
Prägend war auch mein erstes Seminar mit Irene Rumler, das die Frankfurter Gruppe im Juli 2001 organisiert hatte: „Workshop Textarbeit“. Ein Wochenende lang gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen an Texten zu arbeiten, zu sehen, wie andere arbeiten, meine eigene Vorgehensweise zu überprüfen … Vieles aus diesem Seminar ist mir noch heute in Erinnerung. Grundlegende Hinweise zur Textarbeit und die Erkenntnis, dass ich keine Belletristik lektorieren kann. Und natürlich waren und sind die Mitgliederversammlungen immer ein Erlebnis – daran teilzunehmen und sie mit unserer RG zu organisieren.

Lisa: Das kann ich nur bestätigen. Straelen und die Mitgliederversammlung waren mein Highlight des Jahres. Vor allem, da ich ja die ersten Jahre in Berlin noch ziemlich allein unterwegs war. Hier konnte ich auch Tipps zur Organisation und Motivation einer RG erhalten. Die Seminare mit Irene Rumler und die Kooperation mit der Akademie des Deutschen Buchhandels – heute Akademie der Deutschen Medien – setzten Maßstäbe in Sachen Professionalisierung und waren ein erster Schritt hin zur Entwicklung eines eigenen Fortbildungsangebots.

Warum war und ist der Verband für dich wichtig?

Lisa: Als ich 2000 nach Berlin kam, kannte ich so gut wie niemanden. Ein Jahr später hatte sich schon eine Gruppe gefunden, die groß genug war, um als vollständige Regionalgruppe zu gelten. Die Regionalgruppe Berlin wurde am 4. April 2001 in den Räumen des Avinus Verlags in Berlin-Weißensee gegründet. Daraus haben sich viele dauerhafte Freundschaften entwickelt und gefestigt, nicht zuletzt durch das gemeinsame Laufen: Unser Auftritt 2006 bei der Teamstaffel im Tiergarten war das Sommerevent, mit vielen Fans und anschließendem Picknick auf der Wiese im Tiergarten. Sogar in der Coronazeit, als unsere Berliner Gruppe drohte auseinanderzufallen, waren die Treffen der Laufgruppe eine Konstante.

7 Menschen stehen nebeneinander, mit dem Rücken zur Kamera. So sieht man die unterschiedlichen Texte auf ihren roten T-Shirts. Alle haben das VFLL-Logo, aber in unterschiedlicher Ausführung. Bei manchen steht die Abkürzung VFLL für "Vorsicht frei laufende LektorIn

Vorsicht, frei laufende Lektorin! Die VFLL-Laufmoden haben sich über die Jahre verändert, hier das gemischte Team 2017. (Foto: privat)

Annette: Wie schon gesagt, war für mich von Anfang an der Austausch sehr bereichernd. Ich hatte ja aus meiner kurzen Angestelltenzeit kaum Kolleginnen und Kollegen. Die Vernetzung hat super funktioniert. Zum Beispiel hat sich schon relativ am Anfang für mich die Möglichkeit ergeben, in größeren Projekten mitzuarbeiten. Man empfiehlt sich gegenseitig, holt sich Unterstützung, wenn man sie braucht. Ganz abgesehen von den vielen Möglichkeiten, sich fortzubilden und bei ganz konkreten Problemen immer jemanden fragen zu können. Das war und ist einfach großartig. Und vor allem sind über den beruflichen Kontakt hinaus dauerhafte Freundschaften entstanden. All das möchte ich nicht mehr missen.

Lisa: Das trifft für mich natürlich ganz genauso zu. Ich habe sehr von der Zusammenarbeit und dem kollegialen Austausch profitiert!

Was hat sich verändert?

Annette: Insbesondere hat sich die Form der Kommunikation komplett verändert. Es findet sehr viel mehr online statt als früher. Das ist toll und eröffnet mehr Möglichkeiten. Es ist aber auch manchmal schade, da die persönlichen Begegnungen wichtig sind, gerade für uns Einzelkämpfer.

Lisa: Außerdem ist der Verband sehr gewachsen, das ist schon ein großer Unterschied. So fehlt die familiäre Atmosphäre von früher, andererseits haben gleichzeitig unsere Aktivitäten und auch die Möglichkeiten der Einflussnahme stark zugenommen, was gut ist. Inzwischen gibt es die VFLL-Akademie, der Verband hat eine dauerhafte Vertretung in verschiedenen Gremien wie der KSK oder dem Deutschen Kulturrat.

Ihr seid beide immer noch aktiv im Verband. Welche Aufgaben habt ihr aktuell?

Annette: Ich bin seit letztem September im Vorstand des VFLL.

Lisa: Ich organisiere die Arbeitsgruppe Historie. Zusammen mit Gisela Hack-Molitor und Wanda Löwe versuche ich, die Ablage so zu optimieren, dass wichtige Informationen über die Geschichte des VFLL allen Mitgliedern leicht zugänglich sind.

Gespräch: AG Historie
Redaktion: Cornelia Thoellden
Korrektorat: Sibylle Schütz
Aufmacherbild: Annette Gillich-Beltz, © privat und Elisabeth Dorner, © privat


Annette Gillich-Beltz: Website und Profil im Lektoratsverzeichnis 

Infos zu Lisa Dorner findet ihr im Mitgliederbereich unter „Ehrenmitglieder“ (vorheriger Log-in notwendig).

Wenn ihr euch bei der AG Historie als Informant*innen einbringen wollt, findet ihr die Kontaktdaten im Mitgliederbereich unter „Ansprechpersonen im Verband“.


Interview mit Annette Gillich-Beltz als neuer Vorstand

Mehr aus der Reihe „25 Jahre VFLL“:
Interview zum Tandemprogramm mit Annalena Rauh und Daniela Dreuth aus der RG Leipzig
Interview zum Tandemprogramm mit Christian Homma und Sabine Steck aus der RG Bayern

 

 

 

 

 

 

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert