Färöisch ist nicht gerade eine weitverbreitete Sprache. Trotzdem finden sich für färöische Autoren gelegentlich Übersetzer, Verlage und Leser – zum Glück und mit Erfolg: Das Buch „Tanz auf den Klippen“ von Sólrún Michelsen ist gerade für die Hotlist 2015 der unabhängigen Verlage nominiert worden. Dr. Inga Meincke erzählt die Geschichte einer eher außergewöhnlichen Übersetzung.
Von Dr. Inga Meincke
Um was für ein Werk handelt es sich?
Ein Roman aus kurzen Prosastücken, poetisch sehr dicht. Hart, meinte meine Nachbarin – die es in einem Rutsch gelesen hat. Aber auch sehr poetisch, wie gesagt, und bis auf den letzten Teil nicht fiktiv. Viel Einsamkeit – und Sehnsucht nach Verbundenheit. Graue Armut – und Suchen nach Schönheit. Gedankenlose Gewalt – und Liebe. Das kleine Nachbarmädchen, das die Eltern tagaus, tagein in einen halbdunklen Schuppen sperren, bis es mit sieben zur Schule soll und rausdarf – das hat Sólrún als Kind gesehen, sie hat es als Unrecht empfunden, aber die Erwachsenen haben so getan, als wäre alles in Ordnung. Sólrún hat das Buch erst schreiben können, als viele der Beteiligten nicht mehr lebten.
Wie warst du daran beteiligt?
Ich habe das Buch ins Deutsche übersetzt.
Wie bist du zu dem Werk gekommen?
Island war Gastland der Frankfurter Buchmesse 2011 und hat seine „Schwesternation“, die heute noch zu Dänemark gehörenden Färöer, miteingeladen. Die Färöer haben eine sehr spannende Literatur. Die aber hinter einer dicken Sprachmauer versteckt liegt, Übersetzungen direkt aus dem Färöischen haben Seltenheitswert. 2015 aber sind gleich zwei Bücher erschienen! Sólrún Michelsens „Tanz auf den Klippen“ und Heðin Brús „Vater und Sohn unterwegs“ (Guggolz Verlag), vielleicht hat der ein oder die andere ja die Lesung des Übersetzers Richard Kölbl auf der Leipziger Buchmesse mitbekommen. Also, für die Präsentation auf der Frankfurter Messe habe ich Auszüge aus einigen Büchern übersetzt, darunter auch das von Sólrún. Der Ton hat mich sofort angesprochen. Und dann schickte jemand – ich glaube, es war Sabine vom Bruch – über die VFLL-Mailingliste die Deadlines für Stipendien des Deutschen Übersetzerfonds. Keine Ahnung, warum ich die Mail gelesen habe, ich war nicht auf der Suche, reiner Zufall. Noch 3 Tage, um sich für ein Aufenthaltsstipendium fürs Baltic Center for Writers and Translators (BCWT) in Visby auf Gotland zu bewerben, diverse Unterlagen in 7-facher Ausfertigung, 10 Manuskriptseiten der Übersetzung … 10 Seiten? Die hatte ich hier ja gerade rumliegen! Also spontan alles andere zur Seite geschoben und die Bewerbung geschrieben. Und war so glücklich, von Mitte Dezember 2011 bis Mitte Januar 2012 mit Blick auf Visbyer Domkirche und Meer an der Übersetzung arbeiten zu dürfen …
Wurde das Werk in einem Verlag publiziert oder per Selfpublishing?
„Tanz auf den Klippen“hat seine Heimat im Züricher Unionsverlag gefunden, der auf internationale Belletristik spezialisiert ist.
War es schwierig, einen Verlag zu finden?
Ja – ich habe keinerlei Literaturagentinnenqualitäten. Und nein: Ganz unabhängig von meinem Übersetzerwirken begeisterte sich die Schweizer Autorin Verena Stössinger für das Buch. Sie stellte einen Kontakt zu einem schönen Münchener Verlag her – der für sich dann doch nicht die Möglichkeit sah, das Wagnis einzugehen. Dann traf Verena mit Lucien Leitess vom Unionsverlag zusammen, er las das Manuskript – und sagte sofort zu. Es wurde ein Hardcover fürs 40-jährige Verlagsjubiläum, das gerade auch für die Hotlist 2015 der unabhängigen Verlage nominiert wurde. Die Preisträger werden auf der Frankfurter Buchmesse verkündet. Wer mithelfen möchte, dass das Buch viele Stimmen bekommt: das Publikumswahllokal ist bis zum 20. August geöffnet!
Wie lange hast du daran gearbeitet?
Die Rohübersetzung ist in den vier Wochen in Visby fast fertig geworden, dank der Unterstützung des BCWT und des Färöischen Kulturfonds konnte ich etwas länger bleiben. Zu Hause in München habe ich dann gefeilt und verworfen, verworfen und gefeilt – und würde heute noch feilen, hätten grausame Menschen mir nicht das Manuskript entrissen …
Gab es spezielle Herausforderungen?
Auf den Färöern gibt es eine sprachpolitische Tendenz, die manch einem Wort den Eingang in die Wörterbücher verwehrt, das in aller Munde ist … Für Ausländer nicht leicht. Und als ich anfing, da gab es noch keine Färöisch-Deutschen Wörterbücher, da musste man immer über andere skandinavische Sprachen gehen. Doch in Visby konnte ich schon das fantastische – jetzt freie – Online-Wörterbuch des färöischen Verlages Sprotin nutzen, eine unglaubliche Erleichterung!
Wie bist Du auf die Idee gekommen, Färöisch zu lernen? Wo kann man das überhaupt lernen?
Unser Lektor am Münchener Institut für Nordische Philologie, Kaj Alstrup, war mit einer Färingerin verheiratet – er hat uns für färöische Lyrik begeistert. Dann durfte ich mit zwei Stipendien weiterstudieren: Erst ein Jahr in Kopenhagen – u. a. bei Jógvan Isaksen (sein von Christel Hildebrandt übersetzter Krimi „Mild ist die färöische Sommernacht“ ist gerade wieder aufgelegt worden) –, dann vier Monate an der Uni Tórshavn; plus vier Wochen Färöisch-Sommerkurs – der wird jährlich dort veranstaltet. Eine gute Anlaufstelle für Färöer-Interessierte ist der Deutsch-Färöische Freundeskreis. Kurse bietet auch das Nordkolleg Rendsburg an, und es gibt private Anbieter wie OBS!Online, aber da habe ich (noch) keine eigenen Erfahrungen.
Was hat besonders Freude gemacht?
Sólrún Michelsen und ich waren gerade zu den 37. Solothurner Literaturtagen eingeladen. Verena Stössinger moderierte ein Übersetzungsatelier mit uns und eine Lesung mit Sólrún und ich habe mir beim Gläsernen Übersetzer (betreut von Claudia Steinitz) auf die Übersetzerinnenfinger sehen lassen. Und drum herum durfte ich vier wunderbare Wochen im inspirierenden Übersetzerhaus Looren an Sólrúns nächstem Roman „Hinumegin er mars“ (Arbeitstitel: Abschied im März) arbeiten, der für die Literaturpreis des Nordischen Rates nominiert ist. Paradiesisch!
Wie fühlt es sich an, das Werk nun in den Händen zu halten?
Super.
Gibt es noch etwas, das du uns dazu sagen möchtest?
Zwei Dinge. Unglaublich lehrreich war die Erfahrung, als Übersetzerin einmal von einer Kollegin lektoriert zu werden – ein Nachhaken von Anne-Catherine Eigner führte sogar zu einer Änderung im Originaltext! Und: Wer Lust hat auf mehr Geschichten von den Färöern: die von Verena Stössinger und Anna Katharina Richter (geb. Dömling) herausgegebene Anthologie „Von Inseln weiß ich …“ hat 381 Seiten …
Das Buch ist in jeder Buchhandlung erhältlich und online zum Beispiel bei buch7 zu beziehen.
Großes Bild: Schreibtischblick BCWT, Visby, Schweden. Foto: Dr. Inga Meincke
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