Nach dem gesetzlichen Mindestlohn ist nun auch ein Mindesthonorar für bestimmte Branchen in der politischen Diskussion. Brauchen freie Lektorinnen und Lektoren ein festgelegtes Mindesthonorar? Welche Vorteile, welche Nachteile brächte es? Ein Kommentar
Kommt nach dem (wie ich finde recht knapp bemessenen) gesetzlichen Mindestlohn nun auch ein gesetzliches, branchenspezifisches Mindesthonorar? Rundheraus gesagt: hoffentlich nicht! Ganz auszuschließen ist es aber nicht. So weit ich den Wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestages verstehe, stellte zwar ein solch branchenspezifisches Mindesthonorar einen nicht unerheblichen Eingriff in die Berufsfreiheit dar, wäre aber unter ganz bestimmten Voraussetzungen denkbar, zum Beispiel, wenn Angehörige einer bestimmten Branche häufig ergänzende Sozialleistungen beziehen.
Ob – und wenn ja wie viele – freie Lektorinnen und Lektoren oder andere Textsachverständige wie Übersetzer oder Journalistinnen ergänzend staatliche Leistungen erhalten, ist mir nicht bekannt. Dass es mit freischaffender Textarbeit jedoch nicht leicht ist, ein existenzsicherndes Einkommen zu erzielen (aber welches selbstständig erwirtschaftete Einkommen ist schon ein leichtes), weiß ich aus langjähriger eigener Erfahrung und zeigt mir ein Blick in mein Umfeld. Hier ist das ökonomische Familienmodell Festanstellung plus Freiberuflichkeit nicht gerade selten anzutreffen.
Freischaffende Lehrkräfte im öffentlichen Sektor werden bezahlt wie Hilfsarbeiter
In Sachen Honorar besteht also weiterhin Nachholbedarf, den ich aber persönlich gerne selbst und ohne staatliche Vorschriften decken möchte. Warum? Nehmen wir nur mal das Beispiel freischaffende Lehrkräfte für Integrationskurse. Bis zum 1. Juli 2016 erhielten diese ein Mindesthonorar von sage und schreibe 23 Euro pro Stunde. Man muss nicht Betriebswirtschaft studiert haben, um zu erkennen, dass solch ein Satz weder zum Leben noch zum Sterben reicht. Das erkannten wohl auch viele der unterdessen zusätzlich benötigten Lehrkräfte, die sich schlicht weigerten, für solch einen Hungerlohn zu arbeiten. Also erhöhte das Bundesinnenministerium die Kostenerstattungssätze für die Bildungsträger und hob gleichzeitig für die Lehrkräfte die Honoraruntergrenze auf 35 Euro pro Stunde an.
Na immerhin, möchte man meinen. Aber bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass auch dieser Satz freischaffenden Lehrkräften kaum ein ihrer Qualifikation angemessenes Einkommen verschaffen kann. Nach Berechnungen der GEW Bayern ergibt sich je nach persönlichen Umständen ein monatliches Nettogehalt von rund 1.350 Euro. Zum Vergleich: Im öffentlichen Dienst verdient ein angelernter Hilfsarbeiter ohne Berufsausbildung als Berufsanfänger im ersten Berufsjahr rund 1.300 Euro netto (TVöD Bund Entgeltgruppe 2 Stufe 1).
Höhe eines Mindesthonorars wäre wahrscheinlich viel zu niedrig
Wenn also öffentliche Auftraggeber Mindesthonorare für ihre hoch qualifizierten freien Mitarbeiter festlegen, die sich, wie in diesem Beispiel geschildert, eher an der Entlohnung von Hilfsarbeitern orientieren, was wäre dann von einem gesetzlichen Mindesthonorar, das auch freie Lektorinnen und Lektoren beträfe, zu erwarten? Wahrscheinlich nichts Gutes, vor allem, was die Höhe betrifft. Und es würde wahrscheinlich auch mehr schaden als nützen, nämlich all diejenigen herunterziehen, die sich bereits mit auskömmlichen Honoraren am Markt behaupten. Und diejenigen, die sich eher am unteren Rand des Honorarspektrums bewegen, hätten wahrscheinlich auch nichts davon. Was passiert wohl, wenn man sich das Mindesthonorar, das einem zusteht, von seinem Auftraggeber einklagt? Man kriegt sein Geld – und ist diesen Auftraggeber anschließend los.
Was sollte die Politik leisten?
Die Politik kann insbesondere die sozialen Rahmenbedingungen verbessern. Wer als Künstler oder Publizist über die Künstlersozialkasse versichert ist, ist auch mit niedrigem Einkommen bezahlbar in die sozialen Sicherungssysteme eingebunden. Alle anderen Soloselbstständigen mit tendenziell geringen Einkünften haben vor allem mit dem Problem zu kämpfen, ihre Krankenversicherungsbeiträge zu erwirtschaften. Wessen Einkommen die Bemessungsgrenze von 2.231 Euro nicht übersteigt, dessen Mindestbeitrag beläuft sich je nach Krankenkasse auf ca. 369 bis 407 Euro. Wer also zum Beispiel 1.500 Euro oder weniger im Monat verdient, muss diese Beiträge in gleicher Höhe zahlen. An eine Rentenversicherung dürfte da wohl kaum zu denken sein. Hier hilft kein Mindesthonorar, hier hilft einzig die gesetzliche Entlastung der Betroffenen.
Und was können wir selbst tun?
Uns immer wieder unserer unternehmerischen Verantwortung stellen. Dazu gehört nun mal das Kalkulieren von Preisen und das Durchsetzen existenzsichernder Stundensätze gegenüber den Kunden. Dazu gehört ebenfalls, NEIN zu sagen zu unverschämt niedrigen „Angeboten“ von Auftraggebern. Dazu gehört, sich nicht an Unterbietungswettbewerben zu beteiligen. Warum soll man Auftraggebern überhaupt noch ein Angebot zukommen lassen, wenn man von ihnen weiß, dass sie den Zuschlag ohnehin dem billigsten Anbieter erteilen? Dazu gehört, uns noch stärker zu vernetzen und miteinander zu sprechen, vor allem über Geld! Uns darüber auszutauschen, was in welchen Marktsegmenten zu erzielen ist. Wenn wir es schaffen, dauerhaft vernünftige Preise für unsere ziemlich einmaligen Dienstleistungen am Markt zu erzielen, brauchen wir uns über ein Mindesthonorar keinerlei Gedanken zu machen.
Herwig Frenzel (Website und Profil im Lektorenverzeichnis)
Bild: Selbstständige Arbeit für ‘nen Appel und ein Ei – das kann sich niemand leisten. (© Sebastian Petrich)
Links:
https://www.dafdaz-lehrkraefte.de
https://www.bundestag.de/blob/484622/96c3027a416c6b77ecbb339c79f6b942/wd-3-218-16-pdf-data.pdf
http://www.selbststaendig.de/gesetzliche-krankenversicherung-krankenkasse
Hallo Herwig,
kein schlechter Beitrag. Darf ich ihn noch um einige Rechenoperationen aus dem wirklichen Leben ergänzen? Du erwähntest die Honoraruntergrenze für freischaffende Lehrkräfte für Integrationskurse. Meine Freundin unterrichtet diese Kurse (an einer VHS). Ja, sie erhält 35 Euro pro Stunde. Aber eine „Dozentenstunde“ sind in der Realität meistens 2 Zeitstunden; denn JEDE Lehrstunde muss auch vor- und nachbereitet werden. Zudem unterrichten meistens 2 Lehrkräfte einen Kurs, es fällt also auch noch Zeit an, dem Kollegen / der Kollegin mitzuteilen, was man mit dem Kurs in der Zwischenzeit durchgenommen hat und was nicht. Plus ein wenig Verwaltungskram (vor der Stunde kommen, um selbst noch Material für die Schüler zu kopieren etc.). So werden aus 35 im Handumdrehen 17,50 Euro – ohne dass es jemand merkt (mit Ausnahme der Dozenten).
Außerdem unterrichtet man in der Regel nur einen halben Tag, das heißt, im Vergleich zu einem „normalen“ Angestellten oder Beamten fällt die Fahrtzeit doppelt ins Gewicht: Setzen wir für den einfachen Weg eine halbe Stunde an, dann hat der Beamte pro acht Stunden eine Stunde Aufwand für den Weg zur Arbeit, die Dozenten aber pro vier Stunden.
Aus den 35 Euro (die sich zunächst nicht gar so schlecht anhören) werden also im wirklichen Leben meistens reale 15.