Automatisierte Textgenerierung mit künstlicher Intelligenz verspricht Effizienz, produziert aber oft fehlerhafte, unpräzise oder unpassende Inhalte – dann scheint ein Post-Editing unverzichtbar. Doch lohnt sich der damit verbundene hohe Aufwand überhaupt? André Hansen ist Literaturübersetzer für Französisch, Italienisch und Englisch. Darüber hinaus engagiert er sich als Vorstandsmitglied im Verband deutschsprachiger Übersetzer/innen literarischer und wissenschaftlicher Werke e. V., kurz VdÜ. Janine Malz ist ebenfalls als Mitglied der Honorarkommission im VdÜ engagiert und Literaturübersetzerin für die Sprachen Englisch, Italienisch und Niederländisch. Sie veröffentlichte 2024 ein Post-Editing-Angebot im Netz, über das später viel diskutiert wurde. VFLL-Mitglied Sonja Fiedler-Tresp, die neben dem Lektorat auch als Übersetzerin tätig ist, hat die beiden zum Thema Post-Editing interviewt.
Könnt ihr kurz in euren Worten beschreiben, was mit dem Begriff „Post-Editing“ gemeint ist?
André Hansen: Post-Editing ist die Überarbeitung von maschinell erstellten Übersetzungen. Ursprünglich steht Post-Editing für den Abschluss eines längeren Prozesses, der eigentlich mit dem Pre-Editing beginnt. Dabei werden etwa Doppeldeutigkeiten im Ausgangstext entfernt oder die Syntax vereinfacht. Mit dem so präparierten Text soll das Übersetzungstool besser zurechtkommen. Das Ergebnis wird dann im Post-Editing bearbeitet, um die Qualität einer menschlichen Übersetzung zu erreichen. Die Übersetzung wird anschließend je nach Verwendungszweck noch einmal lektoriert.
Seit maschinelle Übersetzung nicht mehr nur für ganz wenige technische Anwendungsfälle in Betracht kommt, gerät das Pre-Editing immer mehr in Vergessenheit. Die Bearbeitung des maschinell übersetzten Zieltexts heißt trotzdem noch Post-Editing. Im Gegensatz zu einem klassischen Lektorat, bei dem ein menschlich übersetzter Text optimiert wird, kommt Post-Editing eher einer Neuübersetzung gleich, sowohl hinsichtlich des Arbeitsaufwands als auch in Bezug auf die Verantwortung, die eine Post-Editorin oder ein Post-Editor trägt.
Im VdÜ beschäftigt man sich schon länger intensiv mit dem Thema Post-Editing. Was wurde von VdÜ-Seite bereits unternommen und wie seid ihr dabei vorgegangen?
André Hansen: Der VdÜ hat sich an der Erarbeitung des ver.di-Positionspapiers zu generativer KI beteiligt und gemeinsam mit unseren Schwesterverbänden A*dS (Schweiz) und IGÜ (Österreich) einen Offenen Brief zur EU-KI-Verordnung veröffentlicht. Die Stellungnahmen der Initiative Urheberrecht und des Netzwerks Autorenrechte für den Schutz vor KI und klare gesetzliche Regelungen haben wir mitgezeichnet.
Wir sehen es auch als unsere Aufgabe, Übersetzerinnen und Übersetzer aufzuklären. Post-Editing sehen wir im VdÜ kritisch. Der Aufwand ist oft nicht geringer als für eine menschliche Buchübersetzung. Wir raten unseren Mitgliedern daher, Post-Editing-Anfragen abzulehnen. Falls dennoch solche Aufträge angenommen werden, empfehlen wir eine Abrechnung nach Stundensätzen von mindestens 50 Euro – gemäß den ver.di-Empfehlungen für selbstständige Kreative.
Auf den ersten Blick könnte man Post-Editing für eine neue Art von Übersetzungslektorat halten. Tatsächlich aber ist es eher eine Neuübersetzung – sowohl zeitlich als auch von den dafür benötigten Fähigkeiten und Verantwortungen. Könnt ihr von Erfahrungen berichten, die hierbei schon gemacht wurden?
André Hansen: Das Projekt Kollektive Intelligenz hat die Möglichkeiten und Grenzen von KI-Systemen wie DeepL beim literarischen Übersetzen untersucht. Vierzehn Profis haben mit unterschiedlichen Arbeitsanweisungen DeepL-Übersetzungen bearbeitet. Das reichte vom klassischen Nachbearbeiten einer KI-Übersetzung bis zur Einbindung der KI in eine spezielle Übersetzungssoftware, die den Ausgangstext in einzelne Sätze zerlegt und Terminologiemanagement ermöglicht.
Dabei hat sich gezeigt, dass es erhebliche Qualitätsrisiken gibt: Die KI-Vorlage beeinflusst die Übersetzerinnen und Übersetzer stark (Priming Effect), lenkt vom Originaltext ab (Obstacle Effect), und ihre Inkonsistenzen erfordern eine hohe Konzentration (Fatigue Effect). Viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer berichten, dass die Arbeit mit KI ermüdend und weniger kreativ ist, da sie die Verbindung zum Ausgangstext und die künstlerische Auseinandersetzung erschwert. Wenn ein Text erst einmal steht, fällt es äußerst schwer, eine gänzlich neue kreative Interpretation zu finden.
KI bietet derzeit keine echte Hilfe für literarisches Übersetzen. Stattdessen wird die Arbeit komplexer, da Übersetzerinnen und Übersetzer nicht nur den Originaltext, sondern auch die Fehler der Maschine im Blick behalten müssen. Eigentlich müssten die Honorare für solche Aufträge deutlich höher sein als bei klassischen Übersetzungen, um den erhöhten Aufwand und die Verantwortung angemessen zu vergüten.
Wie sieht es bei Post-Editing mit dem Urheberrecht aus?
André Hansen: Die urheberrechtlichen Fragen zum Thema KI sind noch nicht gänzlich geklärt. Sicher ist aber, dass ein KI-System als solches kein Urheberrecht erwerben kann. Laut Gesetz können das nur Menschen. Außerdem sind Übersetzungen urheberrechtlich geschützter Werke explizit geschützt. Wenn also durch maschinelle Übersetzung und Post-Editing ein übersetztes Werk entsteht, müsste die Post-Editorin oder der Post-Editor das Urheberrecht an diesem Werk innehaben.
Das bedeutet ganz praktisch, dass ein Post-Editing-Vertrag nicht wie ein Lektoratsvertrag gestaltet werden kann, sondern eher wie ein Übersetzungsvertrag aussehen muss. Wenn wir Post-Editing machen, müssen wir dem Verlag Nutzungsrechte einräumen, damit er die Übersetzung überhaupt nutzen darf. Außerdem sieht der Bundesgerichtshof für Übersetzungen eine Mindestbeteiligung am Umsatz der Rechtenutzung vor, die dann auch in Post-Editing-Verträgen stehen müsste. Das ist sicherlich besonders relevant für Übersetzungslektor*innen, die einen Post-Editing-Auftrag angeboten bekommen.
Was kann die künstliche Intelligenz nicht, was Übersetzerinnen und Übersetzer können?
André Hansen: Wenn man einen KI-übersetzten Text liest, hat man den Eindruck, dass der Zusammenhang im Ganzen fehlt und im Detail vieles ungenau ist. Ein solcher Text ermöglicht ein Gisting, das heißt einen groben Überblick über das, was da steht, aber beim genaueren Hinschauen sind die Übersetzungen für die Zwecke der Buchbranche unbrauchbar.
KI fehlt es an dem kulturellen und emotionalen Verständnis, um Nuancen, Wortspiele, Ironie oder idiomatische Ausdrücke angemessen zu übersetzen. Large Language Models eignen sich für die Wort- und Ideenfindung, als ein erweitertes Synonymwörterbuch, aber den Stil und die Konsistenz gestalten letztlich Menschen. Nach meiner eigenen Erfahrung sind die sogenannten Aufmerksamkeitsfenster selbst der besten KI-Systeme noch zu klein, um längere Texte in einem einigermaßen konsistenten Stil zu übersetzen. Ständiges erneutes Prompten liefert meist unterschiedliche Ergebnisse. Und auf Satz- und Wortebene gibt es selten auf Anhieb richtig gute Lösungen.
Janine Malz: Ich finde es noch ganz wichtig, zu erwähnen, dass die KI den Text gar nicht versteht, sondern nur Wahrscheinlichkeiten berechnet. Es fehlt die Instanz, die den Text interpretiert, wie es bei einer Person, die übersetzt, der Fall ist. Um einen Text richtig übersetzen zu können, muss ich ihn erst richtig verstehen. Und das ist oft die größte Hürde, gerade bei literarischen Texten.
André Hansen: Richtig. Und deshalb kommen Übersetzungsworkflows auch nicht ohne Menschen aus. Es wird zwischen dem maschinenzentrierten Ansatz Human-in-the-Loop und dem menschzentrierten Ansatz Machine-in-the-Loop unterschieden. Post-Editing stellt die KI in den Mittelpunkt des Prozesses und überlässt dem Menschen lästige Aufräumarbeiten. Machine-in-the-Loop könnte hingegen bedeuten, dass Menschen den Prozess steuern und die KI nur dann zurate ziehen, wenn sie einen Mehrwert bietet. Es wäre besser, mit Open-Source-Tools zu arbeiten, die auch offline funktionieren, etwa einer Kombination aus OmegaT und Opus-CAT. Damit könnte man eine übersetzungsfreundliche Arbeitsumgebung auf dem Stand der Technik schaffen, aber abseits von ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen wie Post-Editing.
Janine, du hast im letzten Jahr eine Post-Editing-Anfrage öffentlich gemacht, die du von einem Verlag erhalten hast. Kannst du unseren Mitgliedern erzählen, worum es dabei ging?
Janine Malz: Die Anfrage betraf eine vierteilige Romanreihe aus den Niederlanden, die man mit KI vorübersetzt hatte und die ich als Niederländisch-Übersetzerin für 5 Euro/Normseite nachbearbeiten sollte. Dazu muss man wissen, dass eine Übersetzung mit derzeit ca. 20 Euro/Normseite vergütet wird und mir als Urheberin gesetzlich eine Beteiligung am Verkaufserlös zusteht (laut BGH-Urteil 2011 sind das ab dem 5.000. verkauften Buch 0,8 Prozent des Nettoladenverkaufspreises bei Hardcover-Ausgaben bzw. 0,4 Prozent bei Taschenbüchern). In diesem Fall sollte ich statt eines Übersetzungsvertrags aber einen Redaktionsvertrag bekommen – sprich: keine Urheberschaft, keine Beteiligung am Verkaufserlös durch den Verlag, keine Bibliothekstantieme durch die VG Wort. Die Honorare sind ohnehin schon gering: 2010 hatte der vor dem BGH klagende Übersetzer 19 Euro/Normseite erhalten – fünfzehn Jahre später sind wir trotz Inflation noch bei exakt denselben Honoraren, was real einer Honorarsenkung entspricht. Nicht nur sollte ich für ein Viertel des üblichen Honorars meine Arbeit veräußern, von Urheberrecht war auch keine Rede. Ich war fassungslos. Zumal die Anfrage von einem großen, börsennotierten Verlag kam, der zwei Tage zuvor im Börsenblatt des deutschen Buchhandels die Verdoppelung seines Konzernergebnisses vermeldet hatte. Daraufhin habe ich die Anfrage – und meine ausführliche Antwort – anonymisiert auf meinen Social-Media-Kanälen öffentlich gemacht.
Was ist in der Folge passiert?
Was folgte, hat mich selbst überwältigt. Mein Post ging viral und wurde zigtausendfach geteilt und gelikt, von Autor*innen, Übersetzer*innen, aber auch anderen Kunst- und Kulturschaffenden, deren Arbeit ebenfalls von der KI bedroht ist – Illustrator*innen, Synchronsprecher*innen etc. Was mich besonders gefreut hat, war die Reaktion vonseiten der Leser*innen, die kommentierten, sie würden niemals ein KI-übersetztes Buch lesen wollen. Der Verlag selbst hat es heruntergespielt, es handle sich ja nur um eine E-Book-Reihe, die Autorin sei mit der KI-Übersetzung einverstanden gewesen und man würde das aus Kostengründen nur bei ausgewählten Projekten machen, weil die Bücher sonst gar nicht auf Deutsch erscheinen könnten. Das halte ich für ein fadenscheiniges Argument. Hat das Buch Potenzial oder nicht? Ist das Buch eine gute Übersetzung wert oder nicht? Was der Verlag auch nicht bedenkt: Die Honorarsituation ist bereits jetzt für Übersetzer*innen so prekär, sodass etliche Kolleg*innen den Beruf aufgeben. Wer soll die Bücher sinnvoll post-editieren, wenn niemand mehr da ist, der das Übersetzen beherrscht?
Ist Post-Editing überhaupt eine Tätigkeit für Lektor*innen oder sollten diese ausschließlich Übersetzerinnen und Übersetzer übernehmen?
Janine Malz: Die Anfrage des Verlags ging ja an mich als Niederländisch-Übersetzerin. Nicht ohne Grund. Zum einen bringe ich vertiefte Kenntnisse der Ausgangssprache und -kultur mit, zum anderen Expertise im Übersetzen. Was eine gute Übersetzung ausmacht, habe ich mir in vielen Jahren des Studiums und der praktischen Berufsausübung angeeignet. Lektor*innen, die nicht selbst übersetzen (sowie Übersetzer*innen am Anfang ihrer Laufbahn), neigen dazu, zu wörtlich zu übersetzen und am Original zu kleben. Aber je länger man in diesem Beruf arbeitet, desto deutlicher merkt man, dass es eben gerade darum geht, sich vom Ausgangstext zu lösen und eine Lösung zu finden, die im Deutschen idiomatisch ist. Man muss mitunter um die Ecke denken, sehr kreativ werden und die typischen Fallstricke beim Übertragen von der einen in die andere Sprache kennen. Von daher würde ich sagen, ein gutes Post-Editing kann nur leisten, wer übersetzerische Erfahrung mitbringt.
Was möchtet ihr den VFLL-Mitgliedern mit auf den Weg geben?
Janine Malz: Wenn euch eine KI-Übersetzung zum Lektorieren angeboten wird, bedenkt bitte: Damit hebelt der Verlag das Urheberrecht aus. Der Verlag will hier doppelt sparen: bei den Kosten für eine menschengemachte Übersetzung und bei der Beteiligung der Urheber*innen. Wenn wir auch in Zukunft gut geschriebene Bücher lesen wollen, müssen Verlage bereit sein, menschengemachte Übersetzungen – in die jemand viel Herzblut und Hirnschmalz gesteckt hat – fair zu vergüten. Wenn wir die Preisschraube in der Buchbranche immer weiter nach unten drehen, bleiben am Ende alle auf der Strecke – Autor*innen, Übersetzer*innen, Illustrator*innen, Lektor*innen. Was droht, sind billig produzierte Texte, die auch so klingen. Frustrierte Post-Editor*innen, die zu niedrigen Honoraren unter Zeitdruck nur noch die letzten Fehler der Maschine ausbügeln. Das kann niemand ernsthaft wollen.
Interview: Sonja Fiedler-Tresp
Redaktion: Katja Rosenbohm
Korrektorat: Rebekka Münchmeyer
Beitragsbild: v. l. André Hansen, Janine Malz; beide Fotos: (c) privat
Weiterführende Links:
Zur VdÜ-Website
ver.di-Positionspapiers zu generativer KI
Offener Brief zur EU-KI-Verordnung
Projekt Kollektive Intelligenz
BGH-Urteil 2011 zur Beteiligung am Verkaufserlös
Zum Instagram-Account von Janine Malz: Anfrage – und meine ausführliche Antwort
André Hansens Website
Janine Malz’ Website
Sonja Fiedler-Tresps Website und Profil im VFLL-Lektoratsverzeichnis