Für potenzielle Auftraggeber*innen sichtbar werden und die eigenen Kompetenzen ins rechte Licht rücken – wer freiberuflich arbeitet, stellt sich früher oder später die Frage, wie das geht. Joachim Fries ist freier Lektor und gibt regelmäßig als Referent beim VFLL-Seminar „Fit fürs Freie Lektorat“ wertvolle Tipps an Kolleginnen und Kollegen weiter. Joachim erzählt im Interview, was Marketing überhaupt ist und welche Marketingmaßnahmen sich für freie Lektorinnen und Lektoren anbieten.
Joachim, du beschäftigst dich seit vielen Jahren mit den Themen Management und Marketing. Stichwort „Marketing“: Was ist das eigentlich und inwieweit ist das für uns freie Lektorinnen und Lektoren relevant?
Marketing wird alltagssprachlich oft mit Werbung gleichgesetzt. Doch das greift viel zu kurz. Marketing ist vielmehr ein umfassendes Konzept der Unternehmensführung und bedeutet die Ausrichtung aller unternehmerischen Aktivitäten am Markt. So oder so ähnlich lauten die Definitionen in den Lehrbüchern. Eingängiger gesagt: Man denkt aus Kundensicht und handelt mit Blick auf den Markt.
Der klassische Marketing-Mix umfasst vier marktpolitische Ps: Product, Price, Place und Promotion, also Produkt respektive Dienstleistung, Preis, Distribution und Kommunikation. Im Laufe der Zeit sind weitere Ps hinzugekommen; für uns freie Lektorinnen und Lektoren sind diese klassischen Ps von besonderem Interesse. Wir alle müssen die folgenden Fragen beantworten: Welche Leistungen biete ich an? Wie kalkuliere und gestalte ich mein Honorar? Was und wie kommuniziere ich?
Ich halte das 4P-Modell als Raster für hilfreich, um beim Schritt in die Selbstständigkeit die richtigen Fragen zu stellen und gute Antworten zu finden.
Und was heißt nun „Selbstmarketing“?
Nun, Selbstmarketing ist das Unterfangen, Aspekte und Konzepte des Marketings von Unternehmen auf Personen zu übertragen. Und das mit einer gewissen Berechtigung, denn bei Solo-Selbstständigen wie uns fallen Unternehmen und Person zusammen: Ich bin mein Unternehmen. Das gilt ganz besonders für die freien Berufe. Ich will das an einem simplen Beispiel verdeutlichen. Beim Korrektorat finden verschiedene Korrektoren – im Idealfall – die selben Fehler und nehmen die gleichen Korrekturen vor. Beim Lektorat monieren verschiedenen Lektorinnen – im Idealfall – die selben Textstellen, können aber zu durchaus unterschiedlichen Änderungen oder Verbesserungsvorschlägen gelangen. Hier spielen individuelle Erfahrungen, Einstellungen und auch Eigenarten, also Persönlichkeitsmerkmale, eine viel stärkere Rolle. Sowohl bei der Arbeit am Text als auch während der Arbeit mit dem Autor, der Autorin. Überspitzt könnte man sagen, dass ein selbstständiger Lackierer eine Leistung anbietet und eine freie Lektorin ihre Persönlichkeit.
Und diese Persönlichkeit gilt es zu vermarkten?
Sozusagen. Für mich stehen dabei zwei Dinge im Vordergrund: das Profil in der Produktentwicklung und die Profilierung durch die Kommunikationspolitik. Ganz wichtig ist: ohne Profil keine Profilierung. Oder anders gesagt: ohne Marke kein Marketing. Manche Marketingfachleute sprechen dann auch von einer „human brand“. Ob man dem nun folgen mag oder nicht: Jemand, von dem wir sagen, er sei ’ne Marke, den behalten wir jedenfalls im Kopf.
Gibt es Erfolgsfaktoren fürs Selbstmarketing? Und wie lässt sich der Erfolg messen?
Erfolgreiches Selbstmarketing ist von einem halben bis zu einem Dutzend Faktoren abhängig, je nach Differenzierungsgrad. Ich will nur vier nennen: Erstens ein klares, unverwechselbares, wiedererkennbares Profil. Zweitens Echtheit und Stimmigkeit. Es geht beim Selbstmarketing nicht darum, sich zu verbiegen und etwa vom Menschen der leisen Töne zum Marktschreier zu mutieren, sondern darum, seine Persönlichkeit zum Ausdruck zu bringen. Der eine lauter, der andere leiser, die eine dynamischer, die andere dezenter. Und der Unternehmensauftritt muss zur Person und Persönlichkeit passen und stimmig sein. Drittens: Netzwerken, und zwar rührig, stetig und zielgerichtet. Und viertens: Sich auf wenige, dafür erfolgversprechende Maßnahmen konzentrieren. Nicht blindem Aktionismus anheimfallen und sich verzetteln.
Selbstmarketing kostet Arbeitszeit und will eingepreist sein. Das allein ist Grund genug, sich zu sagen: Weniger ist mehr. Was im Einzelnen zieht – ein Blog, ein Workshop, ein Newsletter, ein Messeauftritt, ein Buch, ein Interview oder was auch immer – ist von den gewünschten Kunden und den eigenen Vorlieben und Stärken abhängig, also recht individuell. Für viele Freie halte ich eine Kombination von Selbstmarketing, Crossmarketing und Empfehlungsmarketing grundsätzlich für überlegenswert.
Was nun die Erfolgsmessung und Maßnahmenevaluation anbelangt, so können wir nicht einfach unser Renommee messen wie die Temperatur mit einem Thermometer. Wie vertrackt das sein kann, sieht man zum Beispiel an dem Citation Index als Indikator für die wissenschaftliche Reputation. Gleichwohl gibt es Hinweise auf erfolgreiches Selbstmarketing: Ich habe etwa mehr Kunden und Aufträge. Ein Neukunde ruft an und sagt: „Ich habe Ihren tollen Artikel gelesen und möchte Sie um ein Lektorat bitten.“ Oder: „Ein Kollege hat Sie mir wärmstens als die Fachfrau empfohlen.“ Dann weiß ich, dass ich alles oder zumindest etwas richtig gemacht habe. Neben quantitativen Kennwerten spielen auch qualitative eine Rolle: Ich habe angesehenere Kunden und anspruchsvollere Aufträge. Das geht natürlich nicht von heute auf morgen, sondern es braucht seine Zeit, bis Selbstmarketing greift.
Selbstmarketing ersetzt also Kundenakquise? Nie wieder Telefonakquise? Zu schön, um wahr zu sein!
Ob sich dieses Heilsversprechen mancher Marketinggurus stets erfüllt, sei einmal dahingestellt. Sicherlich kann man bei konsequentem Selbstmarketing seine Akquisemaßnahmen mittel- bis langfristig stark zurückfahren. Entscheidender ist nach meinem Dafürhalten allerdings ein anderer Punkt: Wer auf Selbstmarketing setzt, gewinnt auch eine andere Einstellung zur ungeliebten Telefonakquise. Kognitive und emotionale Barrieren werden abgebaut, und Akquise wird dann nicht mehr als Belastung, sondern als ein weiterer lohnender Weg bei der Selbstvermarktung empfunden.
Beim Branchentreff Literatur im Dezember bietest du einen Workshop zum Thema Selbstmarketing an. Kannst du uns mehr darüber erzählen?
Ja, das stimmt. Die Lettrétage veranstaltet alljährlich den Branchentreff Literatur, der in diesem Jahr vom 30. November bis 2. Dezember im Haus der Kulturen der Welt in Berlin stattfindet. Der diesjährige, dritte Branchentreff steht unter dem Motto „Literatur sichtbar machen“. Wir haben uns gedacht, dass auch Lektorinnen und Lektoren als „unbekannte Wesen“ oder „unsichtbare Dritte“ sich und ihre Arbeit sichtbar machen müssen, jedenfalls wenn sie freiberuflich tätig sind. Die Idee zum Workshop „Selbstmarketing im freien Lektorat“ war geboren. Inhaltlich geht es in dem Workshop um Aspekte, die wir hier angerissen haben, und zwar möglichst praxis- und teilnehmerorientiert.
Interview: Katja Rosenbohm
Foto: (c) Alexas_Fotos / Pixabay
Joachims Fries’ Website und Profil in der VFLL-Datenbank
Unter dem Motto „Literatur sichtbar machen“ fand der 3. Berliner Branchentreff Literatur statt. Allen, die tiefer ins Thema Marketing einsteigen möchten, empfehlen wir das zweitägige VFLL-Seminar „Fit fürs Freie Lektorat“.
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