„So aufgeregt wie beim ersten Mal war ich nie wieder“

Freiwilliges Engagement oder das Ausüben eines Ehrenamts ist keine Selbstverständlichkeit. Es gibt nur wenige gesellschaftliche Bereiche, die keine persönliche Unterstützung benötigen. Umso erfreulicher ist es, wenn ein ehrenamtliches Engagement später auch beruflich Früchte trägt, wie es bei VFLL-Mitglied Dore Wilken aus der Regionalgruppe Freiburg der Fall ist.

von Dore Wilken

Es sind nur vier Stockwerke. Und dennoch: Der Fahrstuhl bleibt, kurz bevor wir den 4. Stock erreichen, stecken. Und nun? Glücklicherweise fährt der Vermieter mit, der den Trick kennt. Beherzt drückt er die Tür auf, sodass ich mit einem großen Schritt die hohe Stufe aus dem Fahrstuhl nehmen kann. Ein schlechtes Omen? Das hat mir gerade noch gefehlt. Ich bin sowieso schon aufgeregt, denn an diesem heißen Juli-Mittwoch im Jahr 2011 bin ich auf dem Weg zu dem ersten Seminar, das ich jemals gegeben habe.

Vorstellung des Workshops im Historischen Kaufhaus in Freiburg beim Frauenwirtschaftstag am 13. Oktober 2016.
© Kontaktstelle Frau und Beruf Freiburg – Südlicher Oberrhein.

Und das kam so: Zwei Jahre zuvor suchte die Stadt Freiburg für das Projekt „Partnerschaften für die Berufsorientierung“ Ehrenamtliche, die Migrant*innen bei der Jobsuche unterstützen. Ich hatte als Lesepatin aufgehört und suchte ein Ehrenamt, bei dem ich auch meine berufliche Erfahrung weitergeben konnte. Deshalb meldete ich mich. Als selbstständige Lektorin bekam ich eine Partnerin, die sich selbstständig machen wollte. Galina war mit Mitte Vierzig aus Krasnojarsk, einer sibirischen Großstadt (Name und Stadt geändert), nach Deutschland gekommen, um einen Neuanfang zu wagen. In Russland hatte sie als Lehrerin für Russisch und Wirtschaft gearbeitet, daran knüpfte ihre Geschäftsidee an. Sie wollte u. a. als Russischlehrerin arbeiten und vor allem kreative und kognitive Förderung für Kinder und Jugendliche anbieten. Eines ihrer Projekte war, Kinder russischsprachiger Eltern auf den deutschen Kindergarten vorzubereiten. Sie arbeitete bereits an Schulen und war außerdem gut vernetzt – beste Voraussetzungen also für einen Erfolg.

Wir trafen uns ein- bis zweimal im Monat, besprachen ihren Businessplan, klärten Fragen zu Finanzamt und Einstiegsgeld und landeten immer wieder beim Thema Sprache. Ich überarbeitete ihre Texte, wozu auch Bewerbungen um Praktika gehörten. Das gehörte auch zur Arbeit der anderen Mentor*innen aus dem Projekt. Einige von ihnen wünschten sich dazu mehr Informationen. Hier konnte ich meine Textkompetenz als Autorin einbringen und so bot ich für die gesamte Gruppe den Workshop „Bearbeitung von Bewerbungen von Migrant*innen“ an. Obwohl ich so aufgeregt war, lief er sehr gut, es gab sogar Lob von den Teilnehmer*innen.

Schwieriger als die Texte war die mündliche Kommunikation für Galina. Deshalb begleitete ich sie zu ihrer Sachbearbeiterin in der Arbeitsagentur, wo uns so mancher Fachbegriff um die Ohren flog, den auch ich nicht auf Anhieb verstand. Wir arbeiteten zwei Jahre zusammen, dann war auch dieses Projekt beendet, das wie viele Förderprogramme befristet war. Ich bewunderte Galina, sie war sehr motiviert, hatte eine hohe Frustrationstoleranz und blieb auch zuversichtlich, als sie weniger Zeit für ihre Pläne hatte, weil das Jobcenter, das ihren Lebensunterhalt zahlte, sie in Maßnahmen oder Teilzeitjobs vermittelte. Nach unserer Zusammenarbeit trug sich ihre Selbstständigkeit noch nicht vollständig, später beschloss sie, sie aufzugeben, und arbeitete dann als Angestellte.

Im selben Jahr hielt ich im Auftrag der Stadt Freiburg und auch für andere Organisationen noch weitere bezahlte Workshops ab, aber so aufgeregt wie beim ersten Mal war ich nie wieder.

Es macht mir viel Spaß, mit einer Gruppe zu arbeiten und z. B. Lebensläufe zu optimieren und dabei die „berühmten“ Lücken zu schließen. Die gemeinsame Arbeit empfinde ich als Gewinn und wunderbaren Gegensatz zu meiner eher „einsamen“ Textarbeit am Schreibtisch. Daher werde ich künftig als zusätzliches Standbein meiner Selbstständigkeit weitere Seminare zu Themen anbieten wie Selbstmanagement und Schreiben für bestimmte Zielgruppen. Also war der steckengebliebene Fahrstuhl letztlich doch ein gutes Omen …

Mit dem Ehrenamt geht es übrigens auch weiter: Seit Ende Mai bin ich stellvertretende Sprecherin der Regionalgruppe Freiburg.

Foto: Dore Wilken / © Kontaktstelle Frau und Beruf Freiburg – Südlicher Oberrhein.
Großes Beitragsbild: Historisches Kaufhaus Freiburg, © fraher / pixaybay


Dore Wilkens Profil im VFLL-Verzeichnis

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