Wären wir in Frankreich, würde diese Tätigkeit als métier d’art bezeichnet und die Meisterin trüge zweifellos den Titel Meilleure Ouvrière de France, ist also eine der Allerbesten ihres Fachs. Wir sind aber im als ehemaliges Franzosenviertel bekannten Münchner Stadtteil Haidhausen, genauer in der Wörthstraße 42, Hinterhof, linker Eingang, die Treppe hinunter – et voilà! Wir betreten das Reich von Christa Schwarztrauber, Schriftsetzermeisterin alter Schule und seit 1989 Inhaberin der Handsatzwerkstatt Fliegenkopf.
Wir, das sind vier Lektorinnen aus der Regionalgruppe Bayern, die hier in einem Tageskurs Gelegenheit hatten, einen kleinen Grußkartentext eigener Wahl mit Blei- oder Holzlettern selbst zu setzen und dann auf der Handpresse auch selbst zu drucken. »Fliegenkopf« ist Fachjargon, ein Begriff aus der Zeit des Bleisatzes. Er bezeichnet einen Buchstaben (fachsprachlich: eine Letter), der auf dem Kopf steht, sodass der Kegel gedruckt wird statt des Buchstabens. Wir hatten eine Vorstellung davon, wie unsere gedruckten Karten aussehen sollten, aber angesichts der vielen Schubkästen mit Hunderten von Schriften standen dann wir etwas kopf. Wie das alles aufs Papier bringen?
Der erste Akt gehört üblicherweise der Kunst: dem Layout, dem »Design«. Ein Text(lein) soll gestaltet werden. Es ist nahezu alles möglich, so es auf »einer Ebene« ist: von schlichten linearen Zeilen über ausgefallenen Formsatz bis zu wilden Mixen in Schriftgröße und -richtung.
Der zweite Akt ist nicht viel anders als am Computer: Welche Schrift? Oder mehrere Schriften? Welche passen zusammen und welche Schriftgröße ist geeignet? Was wir am Rechner mal schnell mit verschiedenen Fonts ausprobieren und wieder verwerfen können, will hier wohlüberlegt sein – und zwar vor dem Setzen! Die Schrift(en) aus den Musterbüchern auszuwählen ist eins, die jeweiligen nummerierten Kästen zu finden und dann die Anzahl der benötigten Lettern herauszunehmen das andere: Zwar ist alles alphabetisch sortiert, aber wir hatten dann doch mal ein b statt d oder p und ein f statt t in der Hand.
Zweiter und dritter Akt: Aus der Satzschublade in den Winkelhaken.Dazu braucht es eine ruhige Hand und ein gutes Auge.
Der dritte Akt schließlich führt ins konkrete Handwerk: Die Buchstaben werden zeilenweise von links nach rechts in einen auf Satzspiegelbreite eingestellten Winkelhaken gesetzt: spiegelverkehrt, Kerbe nach vorn und Buchstabe nach oben (sonst gibt’s Fliegenköpfe!). Die Wortzwischenräume werden mit passendem Blindmaterial unterschiedlicher Breite, dem Ausschluss gefüllt, der Durchschuss entsteht durch das Einfügen von Regletten. Frau Schwarztrauber zeigte uns, wie man den Winkelhaken richtig hält, damit alles beieinanderbleibt, und erinnerte immer wieder daran. Und doch: zu geringer Daumendruck und eine kleine, unachtsame Drehung des Handgelenks … und wir mussten von vorn anfangen. – Ist der gesamte Text gesetzt, wird er vom Winkelhaken auf ein Setzschiff ausgehoben. Dort werden alle Leerräume mit weiterem Blindmaterial aufgefüllt, sodass der ganze Satz, die Druckform, eine rechteckige Form bekommt. Dieses Ganze wird dann mit einer Kolumnenschnur mehrmals straff umwickelt (ausgebunden), damit nichts umfällt.
Endlich ging’s ans Drucken: Das Einspannen des Satzes in den Schließrahmen der Druckpresse mithilfe von Stegen besorgte Frau Schwarztrauber, ebenso das Einfüllen der Farbe. Da zwei von uns zwei Farben verwenden wollten, wurden diese Karten zuerst mit einer Farbe gedruckt, sodass diese bis zum zweiten Druck ausreichend Zeit zum Trocknen hatte. Der erste Bogen war bei allen noch nicht perfekt, Stege wurden verlegt, Linien wieder entfernt, Wortzwischenräume ausgetauscht oder der Stand korrigiert. Als der Satz optimiert war, lernten wir, wie der Papierbogen an die Walze gedrückt werden musste, damit die Farbe nicht schmiert. Ab und an wollte ein kleines e mit der Zahnbürste berubbelt sein. Das Drucken funktionierte am besten zu zweit: Eine drehte die Kurbel, die andere nahm am Ende den Bogen vorsichtig von der Walze und stellte oder hängte ihn zum Trocknen auf.
Zuerst Gelb, dann Rot. Und immer schön kurbeln und gleichzeitig festhalten!Die VFLL-Grußkarten zum neuen Jahr sind echte Handarbeit.
Der Nachmittag gehörte dem Zweitfarbendruck und dem Druck der einfarbigen Karten; wir haben zwischendurch die Walzen gereinigt und am Ende die Bleilettern gewaschen. Die galt es jetzt wieder in den richtigen Kästen abzulegen. Ah … deshalb war es so wichtig, sich zu Beginn die Regal- und Kastennummern zu notieren!
Dank der geduldigen Anleitung von Frau Schwarztrauber konnten sich die Ergebnisse rundum sehen lassen. In hochoffiziellem Auftrag setzte und druckte Inga Meincke für den Verband die Grußkarten zum Jahr 2015.
Fazit 1 am Ende des Kurstages: Es ist Handwerk und Kunst, also Handwerkskunst!
Fazit 2: Das ungestörte, konzentrierte Arbeiten an einer (!) Sache hat unwiderstehlichen Reiz.
Wir sagten zum Abschied: Wir kommen wieder!
Und wer sich mit dem Vokabular vertraut machen oder einfach etwas nachschlagen möchte, dem sei u. a. dies empfohlen: Peter J. Biel, »Das kleine Lexikon der Druckersprache: Alte und neue Fachbegriffe rund um Buchdruck, Satz & Co.«, Wiley-VCH 2014.
Fotos: © Marina Burwitz