Vielleicht ist euch in den letzten Monaten der Hashtag #vollDerMensch in den sozialen Medien begegnet und ihr habt euch gefragt, was dahintersteckt. Entstanden ist er während der VFLL-Fachtagung und drückt aus, worum es bei unserer Arbeit geht: Lektorieren bedeutet weit mehr, als nur Fehler zu korrigieren. Es ist eine zutiefst menschliche und individuelle Dienstleistung. Warum diese Arbeit auch in Zukunft unverzichtbar bleiben wird und auch durch KI nicht zu ersetzen ist, erläutern die VFLL-Mitglieder Andrea Görsch, Cordula Natusch und Dr. Peter Schäfer im Beitrag.
Von Andrea Görsch, Cordula Natusch, Dr. Peter Schäfer
Auf der Fachtagung Freies Lektorat des VFLL im September 2024 schimmerte KI als Gesprächsthema überall durch. Durchschimmern? Ach was, sie setzte sich breitbeinig in unseren Herzen und Köpfen fest und grinst uns seitdem an. Okay, KI, du kannst Wahrscheinlichkeiten. Wir Menschen können viel mehr, nimm diesen kleinen Ausflug in unendliche Weiten:
Landeharpunen, die ausfahren und keinen Halt finden. Ein Antrieb, der nicht wie geplant funktioniert. Ein technisches Wunderwerk, das mehrfach an Eis und Schotter abprallt. Die Rosetta-Mission der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) war eine bahnbrechende Unternehmung, um im Jahr 2014 den Kometen Tschurjumow-Gerassimenko zu erforschen.
Die Mission war in vielerlei Hinsicht erfolgreich. Die Forschenden hatten jedoch vor allem bei der Landung auf der Kometenoberfläche mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen. Der dreibeinige Lander ist zurückgesprungen, gestrauchelt und schließlich auf der Seite liegend zur Ruhe gekommen – ausgerechnet an einem schattigen Ort, wo er der Mission wenig nützte. Hier war die Energieversorgung durch Solarzellen ziemlich eingeschränkt. Der reine Zufall hat die Mission des Landers Philae gerettet: Nach der Bruchlandung bekam der Lander immerhin etwas Sonne ab und konnte noch Messungen durchführen.
Die Wissenschaftler der ESA betonten die Komplexität der Mission, vor allem wegen der großen Entfernung von 510 Millionen Kilometern zur Erde. Diese Distanz machte es schwierig, Probleme in Echtzeit zu lösen. Die Mission zeigte klar die Grenzen rein robotischer Systeme auf, insbesondere bei unvorhergesehenen Problemen.
Wäre doch ein Mensch auf dem Kometen gewesen!
Was, wenn man den Lander hätte aufrichten können? Wie viele Messprogramme wären noch durchführbar gewesen? Die Forschenden haben mit allem gearbeitet, was sie hatten: mit raffinierter Technik, mit Ingenieurskunst und mit viel Einfallsreichtum. Doch eine Sache hat gefehlt: menschliche Kreativität vor Ort! Von unschätzbarem Wert wäre sie gewesen.
Für uns ist diese Mission daher ein anschauliches Beispiel für die einzigartige Rolle menschlicher Kreativität. Das Alleinstellungsmerkmal menschlicher Fähigkeiten im Vergleich zu technisch gestützten Systemen zeigt sich hier in aller Deutlichkeit.
Was kann der Mensch, was die KI nicht kann?
Früher mussten wir Textdienstleister*innen nicht erklären, was menschliche Kreativität ist. Buchlektorinnen, Werbelektoren und Autorinnen haben ihre Arbeit einfach gemacht. Doch im Vormarsch der KI müssen und wollen wir hervorheben, was unsere Arbeit als menschliche Textprofis so besonders macht: Keine Technik und keine künstliche Intelligenz sind so anpassungsfähig bei der Lösung komplexer und unerwarteter Herausforderungen wie wir.
Was uns so einzigartig macht, sind unsere menschlichen Qualitäten:
- Wir lesen zwischen den Zeilen.
- Wir spüren winzigste Bedeutungsunterschiede bei Begriffen auf.
- Wir sorgen für den perfekten Ausdruck.
- Wir geben der Stimme des Autors oder der Autorin ihren Raum.
- Wir ermutigen in Phasen, in denen das Schreiben nicht so gut läuft.
- Wir bringen unsere eigene Kreativität und unser kritisches Denken ein.
- Wir beantworten alle Fragen rund um den Publikationsprozess.
- Wir freuen uns über das fertige Buch oder die gedruckte Broschüre.
Nicht, dass nun wer denkt, wir Lektor*innen blättern nur in Büchern. I wo! Wir können auch digital und nutzen beides: Bücher und Bits. KI hilft uns beim Brainstormen, bei der Struktur und Analyse eines Textes, bei der Suche nach dem passenden Wort und der besten Formulierung, der Rechtschreibung … Manchmal prompten wir sogar ein passendes Bild zum Blogbeitrag.
Mit uns kann man reden – und wir verstehen!
Vielleicht werden wir Menschen tatsächlich mal dorthin reisen, „wo nie ein Mensch zuvor gewesen“ ist. Wir werden dabei die KI brauchen. Und wir werden staunen über die fremdartige Intelligenz, der wir dann womöglich begegnen. Gleichzeitig werden wir viel zu bieten haben: uns, unsere Kreativität, unsere Menschlichkeit und unsere Kompetenz, mit Technik umzugehen.
Der Hashtag #vollDerMensch ist bei der Fachtagung in Berlin entstanden. Er steht für das Selbstbewusstsein, das wir Kreative zu Recht haben dürfen. Denn KI-Tools sind nützlich. Doch niemand begleitet Menschen so engagiert wie Menschen. Hinter jedem wirklich guten Text steht #vollDerMensch. Nutzt #vollDerMensch und zeigt damit, wie einzigartig und originell eure Arbeit ist.
Redaktion: Katja Rosenbohm
Korrektorat: Sibylle Schütz
Beitragsbild: erstellt mit neuroflash
Andrea Görschs Website und Eintrag im VFLL-Lektoratsverzeichnis
Cordula Natuschs Website und Eintrag im VFLL-Lektoratsverzeichnis
Dr. Peter Schäfers Website und Eintrag im VFLL-Lektoratsverzeichnis
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