Die Aktivrente soll ab 2026 Steuervergünstigungen bieten für alle, die über das reguläre Renteneintrittsalter hinaus weiterarbeiten – nicht aber für Selbstständige. Denn die arbeiten ja ohnehin weiter. Ungerecht? Finden viele, auch der VFLL. Wir hatten die Lobbybeauftragte des Verbands im Gespräch, Johanna Schwering.
Bis zu 2.000 Euro sollen Arbeitnehmende künftig im Rahmen der Aktivrente steuerfrei zu ihrer Rente hinzuverdienen dürfen. Damit will man dem Fachkräftemangel entgegenwirken und mehr Menschen motivieren, auch im Alter von 65 plus noch weiterzuarbeiten. Im Gesetzentwurf der Bundesregierung steht zur Gruppe der Selbstständigen jedoch folgender Satz: Es bedarf „aktuell keiner weiteren Anreize […], diesen Personenkreis zur Weiterarbeit zu bewegen“. So rechtfertigt man, die breit aufgestellte Gruppe von Selbstständigen von der Aktivrente auszuschließen. Und das, obwohl laut dem letzten Alterssicherungsbericht der Bundesregierung fast die Hälfte der ehemals Selbstständigen im Alter mit weniger als 1.500 Euro netto im Monat haushalten muss.
Der VFLL hat gerade eine Resolution des Deutschen Kulturrats zur Aktivrente unterstützt. Was genau wird da gefordert und warum?
Der Deutsche Kulturrat ist ein Dachverband, der ungefähr hundert Verbände aus dem Kunst-, Kultur- und Medienbereich vertritt und die Politik auf Bundesebene berät. Als VFLL sind wir über die Mitgliedschaft in der Deutschen Literaturkonferenz Mitglied des Deutschen Kulturrats. Eine Stellungnahme des Deutschen Kulturrats spricht also automatisch für uns mit. Die Resolution des Deutschen Kulturrats zur Aktivrente fordert in erster Linie, dass die Selbstständigen, die gesetzlich sozialversichert sind, in diesen Gesetzesentwurf einbezogen werden müssen – es erklärt sich nicht, warum sie ausgeschlossen werden sollten. Das betrifft bei uns im Verband alle, die über die KSK versichert sind, und damit die große Mehrheit unserer Mitglieder.
Das spielt schon in meine nächste Frage: Eine Voraussetzung für die Steuerfreiheit in der Aktivrente soll sein, dass man in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt hat. Wer in der Künstlersozialkasse ist, zahlt auch in die gesetzliche Rentenversicherung mit ein. Warum sollte das in den Augen des Gesetzgebers weniger zählen?
Ja, das ist die Frage, die wir uns alle stellen, und sie wird auch dem Bundestag gestellt. Der Deutsche Kulturrat konzentriert sich in seiner Resolution auf diese Frage und der Bundesrat hat sich dazu auch schon geäußert: Er fordert, alle Selbstständigen, die in der gesetzlichen Sozialversicherung sind, in die Gruppe der Begünstigten einzubeziehen. Sozialpolitisch ist der vorliegende Gesetzesentwurf insgesamt nicht zu begrüßen. Die geplante Aktivrente wird soziale Ungerechtigkeit stärken, denn sie bevorzugt nicht nur Angestellte gegenüber Selbstständigen, sondern auch Ältere gegenüber Jüngeren, Männer gegenüber Frauen und vor allem leider hohe Einkommen gegenüber niedrigeren.
Kannst du das bitte näher ausführen? Inwiefern werden Ältere, Männer und Menschen mit höherem Einkommen bevorzugt?
Menschen im Rentenalter hätten mit der Aktivrente einen mehr als doppelt so hohen Steuerfreibetrag als Erwerbstätige vor dem regulären Renteneintrittsalter. Je höher das Gesamteinkommen, desto größer die Entlastung. Das hat der DGB vorgerechnet. Die Benachteiligung von Frauen ergibt sich durch den Gender-Pay-Gap und dadurch, dass Männer häufiger als Frauen sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind. Man braucht ja auch nur mal überlegen, welche Berufe man mit 70 überhaupt noch gut ausüben kann. Schwere körperliche, erzieherische und pflegende Tätigkeiten zum Beispiel nicht. Frauen und Migrant*innen sind also statistisch im Nachteil. Gesundheitlich beeinträchtigte Menschen? Im Nachteil. Soziale Gerechtigkeit in der Aktivrente? Deaktiviert.
Was unternimmt der VFLL, um gegen die Aktivrente – so wie sie derzeit geplant ist – anzugehen?
Ein Teil der Empörung resultiert daraus, dass der Gesetzesentwurf sehr kurzfristig bekannt gemacht wurde, nur drei Monate vor geplanter Einführung des Gesetzes. Das hat den Verbänden sehr wenig Zeit gegeben, sich dazu zu äußern – die Bundesarbeitsgemeinschaft Selbstständigenverbände hat das ebenso deutlich bemängelt wie der Deutsche Gewerkschaftsbund. Wir haben erst mal verfolgt und begleitet, was unsere Verbandspartner veröffentlicht haben – der Deutsche Kulturrat, das ver.di-Selbstständigenreferat, der VGSD und die BAGSV. Unsere Hauptaufgabe ist jetzt, unsere Verbandsmitglieder über diese Gesetzespläne zu informieren und das Geschehen einzuordnen. Ich halte es für wichtig, sich klar zu positionieren, aber im VFLL arbeiten wir alle ehrenamtlich und sind nicht dafür aufgestellt, um auf bundespolitischer Ebene und in hoher Geschwindigkeit etwas zu bewegen. Das ist insofern hier auch nicht nötig, als die Aktivrente ja kein Problem ist, das nur uns freie Lektor*innen betrifft, sondern alle Selbstständigen. Andererseits ist es unter anderem diese fehlende Schlagkraft, die uns als Verband darüber nachdenken lässt, uns enger an andere politische Akteure anzuschließen. Deshalb sondieren wir gerade eine Kooperation mit der Gewerkschaft ver.di nach dem Vorbild von anderen Verbänden im Textbereich wie VdÜ, VS und dju.
Was wäre der Vorteil davon?
Wir könnten gemeinsam mit anderen lauter für unsere Belange eintreten. In ver.di sind 30.000 Soloselbstständige organisiert und 20.000 im Bereich Kunst und Kultur Tätige. Mit so vielen Verbündeten und der Unterstützung von hauptamtlichen Gewerkschafter*innen kann man auch Kampagnen anderer Größenordnung stemmen und gemeinsam mehr bewegen. Die größten Sorgen, die unsere Mitglieder laut einer verbandsinternen Umfrage im Frühjahr arbeitspolitisch umtreiben, teilen wir mit vielen anderen soloselbstständigen Kreativen. Zu niedrige Honorare, zu geringe Rentenaussicht. Und dann noch die KI, die uns das Wasser abgräbt und gesetzlich zu wenig reguliert wird.
Gibt es etwas, das VFLL-Mitglieder selbst tun können, um gegen die Aktivrente zu protestieren?
Ja. Die Petition des VGSD bis zum 14. Dezember unterschreiben und teilen. Dazu gibt es auch ein Video für die Social-Media-Plattformen, in dem ganz verschiedene Selbstständige erzählen, wie ihre Rentenaussicht ist und warum es so ungerecht ist, dass wir für dieses Gesetz nicht mitgedacht werden. Man kann außerdem den Bundestagsabgeordneten des eigenen Wahlkreises schreiben. Dafür haben das ver.di-Selbstständigenreferat und der VGSD jeweils Vorlagen zur Verfügung gestellt.
Ich denke auch, dass wir alle generell durch Gespräche in unserem Umkreis dazu beitragen können, mit dem weitverbreiteten Irrglauben aufzuräumen, Selbstständige seien allesamt wohlhabende Unternehmer*innen, Ärzte und Rechtsanwältinnen, die finanziell ausgesorgt haben, indem wir einfach von unserem Arbeitsalltag erzählen und uns auch trauen, mehr über Geld zu sprechen. Der Begriff der Soloselbstständigkeit muss in der Gesellschaft besser bekannt werden. Dieses Narrativ „die Selbstständigen haben es nicht nötig“, das der Gesetzesentwurf bedient, hat für unsereins doch wirklich etwas Demütigendes. Denn die meisten Soloselbstständigen verdienen eher im prekären Bereich, das hat zum Beispiel die SO_LOS-Umfrage vom Haus der Selbstständigen gezeigt. Wir arbeiten nicht nur aus Berufung über das Renteneintrittsalter hinaus, sondern auch aus finanzieller Not.
Redaktion: Cornelia Thoellden
Aufmacherbild: wir sind klein: Wilfried Pohnke via Pixabay
Johanna Schwering: Profil im Lektoratsverzeichnis
Zum Weiterlesen:
Interview mit dem Sozialwissenschaftler Stefan Bach vom Deutschen Institut für Sozialwirtschaft
VFLL-Mitglieder können sich im internen Bereich der Homepage über die Aktivitäten der AG Arbeit und Soziales informieren.
VFLL aktiv:
… auf dem WIR-Festival in Halle
… beim Testen der Korrektur-KI Textshine