Denksport Deutsch geschlechtergerechte Sprache

Sprachwissenschaft versus Psychologie? „Denksport Deutsch“ und die Genderfrage

Zum sprachlichen Gendern hat fast jede/r eine Meinung, und weil es sich hier um ideologisch vermintes Terrain handelt, müssen schon mal gewagte Behauptungen als Argument herhalten. Autor Daniel Scholten meint in seinem Buch „Denksport Deutsch“, es gebe keine ernstzunehmenden Untersuchungen zum Zusammenhang von Geschlechterrolle und Grammatik. Jürgen Hahnemann stellt fest: Das stimmt nicht.

Ein Kommentar von Jürgen Hahnemann

Über Sinn und Unsinn eines geschlechtergerechten Sprachgebrauchs zu diskutieren, gleicht einem Eiertanz, weil es sich bei dieser Frage um ideologisch vermintes Terrain handelt. Als professionelle Dienstleister beherrschen Lektorinnen und Lektoren die verschiedenen Strategien, mit denen sich ein Text geschlechtsneutral und lesbar zugleich gestalten lässt. Schließlich gibt es Publikationsbereiche, in denen das sogenannte Gendern ein Muss ist – und dann helfen nicht Grundsatzdiskussionen weiter, sondern nur ein Text, der den gewünschten Anforderungen entspricht. Dies bedeutet jedoch nicht, dass Lektorinnen und Lektoren nicht über diese Frage diskutieren würden. In einer solchen Diskussion auf der VFLL-internen Mailingliste wurde folgendes Zitat aus Daniel Scholtens Buch „Denksport Deutsch“ in die Runde geworfen:

„Es gibt keinen Zusammenhang zwischen der Rolle der Frau in einer Gesellschaft und der Grammatik ihrer Sprache. Genau das behauptet die Gender-Ideologie aber. Neuerdings führt sie in ihrer Propaganda empirische Studien an, die beweisen sollen, dass Frauen häufig mitgemeint, selten jedoch mitgedacht würden. Solche Studien gibt es nicht, nicht in der Psychologie und erst recht nicht in der Sprachwissenschaft. Folgt man dem nebulösen Pfad zu diesen Studien, entpuppen sie sich stets als Essays von Aktivisten an entlegenen amerikanischen Universitäten. Nichts davon ist in anerkannten wissenschaftlichen Publikationen erschienen, nichts davon wurde je von echten Wissenschaftlern zur Kenntnis genommen. Denn in der echten Sprachwissenschaft hat man schon früh im 20. Jahrhundert erkannt, dass die Annahme, Grammatik könnte uns psychologisch beeinflussen, Unsinn ist.“ (S. 114 f.)

Unabhängig vom persönlichen Standpunkt in der Genderfrage ruft dieses Zitat Erstaunen hervor, gibt es doch eine ganze Reihe sprachpsychologischer Studien zum Deutschen, die in wissenschaftlichen Zeitschriften erschienen sind. Wenn schon kein Konsens in der Genderfrage in Sicht ist, so lässt sich zumindest die Frage nach den angeblich nicht ernstzunehmenden Studien objektivieren. Deshalb haben einige VFLL-Mitglieder eine Liste sprachpsychologischer Studien zum Deutschen zusammengestellt, die ich mit der Bitte um Stellungnahme an Daniel Scholten geschickt habe: Kennt er tatsächlich nur Studien von drittklassigen amerikanischen Universitäten – und wie ist seine Aussage vor dem Hintergrund unserer Liste zu verstehen? Leider habe ich auch auf Nachfrage hin keine Rückmeldung bekommen, darum soll die Liste zumindest an dieser Stelle veröffentlicht werden (siehe unten).

In seiner Rezension von „Denksport Deutsch“ kommt Joachim Fries zu folgendem Fazit: „Scholten spricht Klartext, spitzt zu, manchmal zu sehr. Dann mangelt es an Differenzierung, die bei Themen wie gendergerechte Sprache, Stilregeln oder Anglizismen durchaus angezeigt wäre. Aber er regt an, sich bewusster und fundierter mit solchen Fragen auseinanderzusetzen. Und das ist für alle Sprachinteressierten zweifellos eine enorme Bereicherung.“

In der Tat zeichnet sich Scholtens Buch dadurch aus, dass er vermeintliche sprachliche Gewissheiten infrage stellt, wenn er zum Beispiel zeigt, warum „wegen dem“ nicht falsch sein kann oder dass der Dativ keineswegs dem Genitiv sein Tod ist. Aber leider formuliert er unverdrossen neue Glaubenssätze wie in diesem Fall, wo die Existenz einer „echten Sprachwissenschaft“ postuliert wird, an deren zeitlos gültigen Ergebnissen sich offenbar alle weitere Forschung zum Untersuchungsgegenstand Sprache messen lassen muss. Natürlich kann und sollte man auch die hier zusammengetragenen Studien im Hinblick auf Grundannahmen und methodisches Vorgehen hinterfragen – aber wer sie in Bausch und Bogen ignoriert oder lächerlich macht, macht es sich denn doch zu einfach.

Eine allgemeingültige Lösung ist in der Frage des sprachlichen Genderns nicht in Sicht, darum kann es nur einzelne, der individuellen Situation bzw. dem spezifischen Text angemessene Lösungen geben. Was wir brauchen, ist kein ideologischer Grabenkampf, sondern intelligent formulierte – und vor allem lesbare – Texte.

 

Untersuchungen zum Verständnis maskuliner Personenbezeichnungen im Deutschen

Braun, Friederike; Gottburgsen, Anja; Stahlberg, Dagmar; Sczesny, Sabine: Können /Geophysiker/ Frauen sein? Generische Personenbezeichnungen im Deutschen. In: /Zeitschrift für germanistische Linguistik/ 26 (1998), Nr. 3, S. 265–283

Braun, Friederike; Oelkers, Susanne; Rogalski, Karin; Bosak, Janine; Sczesny, Sabine: „Aus Gründen der Verständlichkeit …“. Der Einfluss generisch maskuliner und alternativer Personenbezeichnungen auf die kognitive Verarbeitung von Texten. In: Psychologische Rundschau, 58 (3), 183–189

Heise, Elke: Auch einfühlsame Studenten sind Männer. Das generische Maskulinum und die mentale Repräsentation von Personen. In: /Verhaltenstherapie und psychosoziale Praxis/ 35 (2003), Nr. 2, S. 285–291

Heise, Elke: Sind Frauen mitgemeint? Eine empirische Untersuchung zum Verständnis des generischen Maskulinums und seiner Alternativen. In: /Sprache & Kognition/ 19 (2000), Nr. 1–2, S. 3–13

Irmen, Lisa; Köhncke, Astrid: Zur Psychologie des »generischen« Maskulinums. In: /Sprache & Kognition/ 15 (1996), Nr. 3, S. 152–166

Irmen, Lisa; Linner, Ute: Die Repräsentation generisch maskuliner Personenbezeichnungen. Eine theoretische Integration bisheriger Befunde. In: /Zeitschrift für Psychologie/ 213 (2005), Nr. 3, S. 167–175

Klein, Josef: Benachteiligung der Frau im generischen Maskulinum – eine feministische Schimäre oder psycholinguistische Realität? In: Oellers, Norbert (Hrsg.): /Germanistik und Deutschunterricht im Zeitalter der Technologie. Selbstbestimmung und Anpassung. Vorträge des Germanistentages Berlin 1987./ Bd. 1:/Das Selbstverständnis der Germanistik. Aktuelle Diskussionen./ Tübingen: Niemeyer, 1988, S. 310–319

Klein, Josef: Der Mann als Prototyp des Menschen – immer noch? Empirische Studien zum generischen Maskulinum und zur feminin-maskulinen Paarform. In: Eichhoff-Cyrus, Karin M. (Hrsg.): /Adam, Eva und die Sprache. Beiträge zur Geschlechterforschung./ Mannheim; Leipzig; Wien; Zürich: Dudenverlag, 2004, S. 292–307 (Thema Deutsch 5). – Josef Klein stellt darin u. a. seine 1988 veröffentlichte Untersuchung (siehe oben) vor.

Oelkers, Susanne: Der Sprintstar und ihre Freundinnen. Ein empirischer Beitrag zur Diskussion um das generische Maskulinum. In: /Muttersprache/ 106 (1996), Nr. 1, S. 1–15

Rothermund, Klaus: Automatische geschlechtsspezifische Assoziationen beim Lesen von Texten mit geschlechtseindeutigen und generisch maskulinen Text-Subjekten. In: /Sprache & Kognition/ 17 (1998), Nr. 4, S. 183–198

Rothmund, Jutta; Scheele, Brigitte: Personenbezeichnungsmodelle auf dem Prüfstand. Lösungsmöglichkeiten für das Genus-Sexus-Problem auf der Text-Ebene. In: /Zeitschrift für Psychologie/ 212 (2004), Nr. 1, S. 40–54

Scheele, Brigitte; Gauler, Eva: Wählen Wissenschaftler ihre Probleme anders aus als Wissenschaftler/I/nnen? Das Genus-Sexus-Problem als paradigmatischer Fall der linguistischen Relativitätsthese. In: /Sprache & Kognition/ 12 (1993), Nr. 2, S. 59–72

Stahlberg, Dagmar: Erzähl mir, was Du siehst, und ich sage Dir, was Du denkst! Sprache und Personenwahrnehmung in der Sozialpsychologie. In: Richter, Helmut; Schmitz, Walter H. (Hrsg.): /Kommunikation – ein Schlüsselbegriff der Humanwissenschaften?/ Münster: Nodus Publikationen, 2003 (Signifikation 5), S. 93–105

Stahlberg, Dagmar; Sczesny, Sabine: Effekte des generischen Maskulinums und alternativer Sprachformen auf den gedanklichen Einbezug von Frauen. In: /Psychologische Rundschau/ 52 (2001), Nr. 3, S. 131–140

Wesian; Julia: Sprache und Geschlecht. Eine empirische Untersuchung zur „geschlechtergerechten Sprache“. Hausarbeit zur Erlangung des Grades einer Magistra Artium der Philosophischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, Westfalen. Münster, 2007

 

4 Gedanken zu „Sprachwissenschaft versus Psychologie? „Denksport Deutsch“ und die Genderfrage

  1. jottes

    Ich habe vor einiger Zeit eine der genannten „Studien“ angeschaut. Braun et.al.: „Aus Gründen der Verständlichkeit …“. Stefanowitsch hat sie unter anderem als herausragende Arbeit angepriesen, die aufzeigt, dass Gendern Sprache nicht schwieriger machen würde.

    Das sagt die Studie nicht. Sie ist nicht einmal eine Studie, sondern mit 14 Probanden pro Versuch nur eine Vorabunstersuchung, die zu dem Ergebnis kommt, was man besser machen sollte, würde man eine richtige Studie machen wollen.

    Dazu habe ich mir noch Studien von Ute Gabriel und Pascal Gygax angesehen. Auch die Daten in diesen Studien (mit ebenfalls zu wenigen und „vorbelasteten“ Probanden) geben auch keinen belastbaren Beleg, dass das Verwenden der standardform diskriminieren würde. Eher das Gegenteil ist der Fall. Das Deutsche in der Schweiz, in dem viel gegendert wird, schneidet am schlechtesten ab. Das Englische, in dem man quasi gar nicht gendert, obwohl es die Sprache kann (wie alle Germanischen Sprachen, man könnte also problemlose Primeministeress May sagen, tut es aber nicht, man diskriminiert nicht, ebenso in Schweden, Norwegen, etc.)

    Die Problematik beim Gendern ist die (irrtümliche) Annahme, der generische Begriff wäre der Begriff, der Männer abbildet. Das stimmt so nicht. Klemptner ist kein Mann, das Wort bezeichnet Menschen mit diesem Beruf, wie auch den Berufsstand selbst. „Einen Klemptner kann ich nicht bezahlen“ meint nicht, dass man einen bestimmten Mann nicht bezahlen kann, sondern dass man kein Geld hat, eine Klemptnerei zu beauftragen.

    Ein Grundprinzip der deutschen Sprache ist deren Ikonizität. Durch Anfügen von Lauten wird ein Wort spezieller und die Bedeutung eingeschränkt. „Das Auto“ bezeichnet ein Fahrzeug oder alle Autos. „Das Auto hat die Mobilität der Menschen verändert.“ „Autos“ ist dann schon spezieller. Es handelt sich definitiv um mehrere Fahrzeuge. Die Bedeutung von „Auto“ ändert sich aber nicht.

    Wenn ich die Klemtnerin durch Anhängen des Derivatems -in generiere, dann bezeichne ich klar eine Frau. Um klar einen Mann zu bezeichnen gibt es aber gar kein Derivatem im Deutschen. Man hat in der Deutschen Sprache gar keine Möglichkeit, einen männlichen Klemptner mit einem Wort zu beschreiben.

    Insgesamt muss ich konstatieren, dass alle Studien, die ich mir zum Thema angesehen habe erschreckend dünn sind. Ich komme aus einem technischen Fach, und „Studien“ in dieser Qualität würden dort maximal als „Paper“ durch gehen, das Hinweise gibt, aber nicht als wissenschaftliche Studie, die einem entsprechenden wissenschaftlichen Anspruch gerecht wird. Unterstrichen wird das von den Angaben der Seitenzahlen in obiger Literaturliste. Auf 10 Seiten kann ich keine anspruchsvolle wissenschaftliche Arbeit darlegen.

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  2. Mathias Stolarz

    Wenn ich alles richtig verstanden habe, würde Herr Scholten zu den Einträgen der Liste wohl wie eingangs beschrieben antworten, dass er sie nicht als ernst zu nehmende Studien anerkennt. Das Problem ist wahrscheinlich einfach, dass das Wort „Studie“ für die verschiedenen Parteien hier eine andere Bedeutung hat. Mit „Pilotstudie“ oder „Untersuchung“, wie sich einige der Publikationen selbst nennen, hätte er vielleicht kein Problem. Das sind aber nur Vermutungen meinerseits: Falls er sich doch noch zu der Liste meldet, würde ich mich über ein Update freuen!

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