Archiv für den Monat: Oktober 2015

Gunda Hinrichs Der Blick ins Innere

Zwischen allen Stühlen

Gunda Hinrichs ist als studierte Kulturwissenschaftlerin nicht nur Lektorin, sondern auch Autorin und hat jüngst ihre zweite wissenschaftliche Monografie „Der Blick ins Innere“ publiziert: eine psychoanalytisch fundierte Abhandlung zur Symbolforschung im Rahmen der Kulturanthropologie am Beispiel eines Renaissanceporträts.

Von Gunda Hinrichs

Um was für ein Werk handelt es sich?

Der Titel lautet „Der Blick ins Innere“ und der Klappentext:  Der Symbolforschung gilt im Rahmen der Kulturanthropologie ein zurückhaltendes, aber doch beständiges und besonderes Interesse, weil sie offenbar tiefe Einsichten in die zentralen Formationsprinzipien menschlicher Kultur zu gewähren verspricht. Ausgehend vom Wesen des Symbols im Warburg’schen Sinn, das auf dem Wege ikonologischer Interpretation eines Renaissanceporträts quasi fallanalytisch entfaltet wird, werden hier die Grundzüge einer kulturanthropologischen Symboltheorie auf psychoanalytischer Basis freigelegt, womit zugleich eine Kulturtheorie objektbeziehungspsychologischer Provenienz umrissen wird. Melanie Klein hat zwar im Gegensatz zu Freud kein einziges Wort über Kulturanalyse verloren, ihr Konzept von Projektion und Spaltung lässt sich jedoch sehr viel besser als das Freud‘sche Modell auf kulturanalytische Fragestellungen anwenden. In dieser Perspektive sind symbolische Formen aufschlussreiche Zeugnisse unbewusster kollektiver Sinnstrukturen, die es im interdisziplinären Zusammenspiel von Kunstgeschichte, Kulturanthropologie, Religionsphilosophie und Psychoanalyse zu deuten gilt.

Wie bist du zu dem Werk oder auf das Thema gekommen?

Das ist die gemeine „Kapitänsfrage“, die man im Grunde nicht beantworten kann. „Herr Kapitän, wie sind Sie zu Ihrem Beruf gekommen und wie funktioniert eigentlich dieses Schiff?“ Darauf zu antworten, hat der Kapitän keine Lust, weil es sehr lange dauern würde, einem Laien das zu erklären. Der Fragende wollte ja nur Small Talk an der Reling, aber keinen anstrengenden Fachvortrag. Doch vielleicht so viel: Das Manuskript war einst als Dissertation geplant, der Doktorvater fiel aus, Ersatz ließ sich aus verschiedenen Gründen nicht finden, doch dann – nach langen Jahren der Verbannung in der Schublade – hat die Sache mir doch noch den Drive gegeben, sie ganz alleine und ohne jede Betreuung zu Ende zu bringen. Gesucht habe ich zwar nach einer Möglichkeit, mich damit promovieren zu lassen, doch ohne Erfolg. Mein methodischer Ansatz war zu interdisziplinär für die akademische Fachwelt. Ich saß zwischen allen Stühlen, niemand fühlte sich ausreichend kompetent. Außerdem gilt die Psychoanalyse vielerorts nicht als Wissenschaft, sondern als Weltanschauung, ganz abgesehen davon, dass die meisten Profs keine fertige Doktorarbeit akzeptieren, denn „das würde ja den Ausbildungscharakter der Promotion komplett unterlaufen“ (O-Ton). Der Einzige, der spontan zugesagt hat, war Hartmut Böhme vom Institut für Kulturwissenschaft an der Humboldt-Uni Berlin. Weil er aber bereits emeritiert ist, darf er keine neuen Doktoranden mehr annehmen. Er hätte mich sonst gerne und ohne Weiteres mit dieser Arbeit promoviert.

Hast du in einem Verlag publiziert oder per Selfpublishing?

Königshausen & Neumann in Würzburg (K & N) ist ein renommierter geisteswissenschaftlicher Fachverlag, der von den Autoren einen moderaten Druckkostenzuschuss verlangt und in meinem Fall eine Auflage von 240 Exemplaren gedruckt hat.

War es schwierig, einen Verlag zu finden?

Nein. Von fünf angefragten Verlagen haben zwei zugesagt. Den ersten (einen seriösen Berliner Verlag für kulturwissenschaftliche Titel) wollte ich nicht, weil die Auflagenhöhe nur 100 betragen sollte und der Zuschuss um ein Drittel (mehr als 1000 Euro) höher gewesen wäre, u. a. für „künstlerische Gestaltung“ und ein „Lektorat“. Diese Leistungen sollte und durfte ich bei K & N selbst erbringen. (Wer einen Tippfehler findet, dem spendiere ich ein Bier.)

Wie lange hast du daran gearbeitet?

Über Jahre hinweg immer mal wieder streckenweise. Im letzten Jahr der Fertigstellung habe ich mich dann jeweils die ersten beiden Stunden des Tages dem Manuskript gewidmet und danach dem Broterwerb; in den letzten beiden Monaten habe ich sogar alle Aufträge als Lektorin rigoros abgelehnt.

Gab es spezielle Herausforderungen?

Die farbigen Abbildungen waren für den Verlag eine Herausforderung. Es gab im Druck katastrophale Farbverzerrungen. Was auf meinem Hausdrucker ganz prima aussah, wurde im Verlag zu einer Geisterbahnfahrt: Zuerst erschreckt mich eine blutig rote Gestalt, dann eine leichenblasse Erscheinung, und schließlich ein Wesen in schrillen Bonbonfarben – so sahen drei verschiedene Andrucke (Proofs) aus, die ich alle nicht akzeptieren konnte. Zuletzt haben sie es dann aber doch noch zufriedenstellend hingekriegt, auch wenn Raffael sich wahrscheinlich schaudernd abwenden würde, wenn er sähe, was aus seinen Bildern wurde. Für mich selbst war die Silbentrennung von Word 2007 eine Herausforderung, weil es dabei immer wieder zu ganz unsinnigen Trennungen kam, die ich mit Adleraugen finden musste.

Was hat besonders Freude gemacht?

Das Fabrizieren von klaren Argumentationslinien in ruhigem Stil.

Wie fühlt es sich an, das Werk nun in den Händen zu halten?

Anders als gedacht. Ich bin selbst überrascht, dass ich mich nicht freue und stattdessen eine gewisse Verbitterung und Traurigkeit empfinde. Das ist nicht nur die „Trauer der Vollendung“. Ich habe geschätzte 4285 Stunden akademisch qualifizierte Arbeit geleistet, bekomme dafür aber keinen Cent Honorar, auch keine Tantiemen und nicht einmal den Doktortitel. −„Was für ein Elend auf der Welt!“

Gibt es noch etwas, das du uns dazu sagen möchtest?

Ich hatte mich bei einer geldgebenden Stiftung um einen Druckkostenzuschuss beworben und musste auf die Entscheidung ein halbes Jahr lang warten. Diese Warterei war außerordentlich zermürbend und letztlich umsonst, weil mein Antrag wegen knapper Mittel abgelehnt wurde. Das einzig Gute daran war, dass ich noch einmal viel Zeit gewann für ein abschließendes, zeitlich distanziertes Korrekturlesen, sodass ich jetzt mit reinem Gewissen sagen kann: Ein Fremdlektorat war nicht nötig. Aber die Einladung zum Bier steht.

Der Blick ins Innere. Ikonologische Wege zu einer psychoanalytischen Kulturtheorie – Kulturanthropologische Grundlagen einer Theorie des Symbols. Würzburg 2015 (Königshausen & Neumann), 250 Seiten, 12 farbige Abbildungen, ISBN 978-3-8260-5701-4, € 39,80

Das Buch ist in jeder Buchhandlung erhältlich sowie online zum Beispiel beim Verlag Königshausen & Neumann buch7 oder buchhandel.de zu beziehen.

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