VFLL-Mitglied Katrin Nägele

„KI nicht als Konkurrenz, sondern als Werkzeug zu begreifen“

VFLL-Mitglied Katrin Nägele ist Diplom-Physikerin und qualifizierte Übersetzerin für Leichte Sprache. Seit einiger Zeit ist sie als „KI-Nerd im VFLL“ aktiv. Mit dem Ziel, KI nicht als Konkurrenz, sondern als Werkzeug zu begreifen, lädt sie VFLL-Mitglieder zur Mitarbeit ein. Als persönliche Motivation nennt sie Teilhabe am gesellschaftlichen Leben durch Innovation und die Überzeugung, dass KI die Tür zu neuen Möglichkeiten öffnet, die vorher verschlossen schienen.

Du bist seit geraumer Zeit als „KI-Nerd im VFLL“ aktiv. Was macht ein KI-Nerd?

Die letzten Monate haben wir viel Grundlagenarbeit gemacht. Im Mitgliedsbereich der VFLL-Webseite gibt es nun die Rubrik „KI“. Hier haben wir Tools, Newsletter oder auch Podcasts rund um das Thema künstliche Intelligenz (KI) gelistet und kurz erläutert.

Da wir aber wissen, dass eine Liste alleine nicht reicht, um sich für KI zu begeistern, haben wir auch in einigen Regionalgruppen Einführungsworkshops halten dürfen. Es ist uns wichtig, mit den Mitgliedern ins Gespräch zu kommen. Wenn wir feststellen, dass es für ein bestimmtes Thema ein starkes Interesse gibt, geben wir diese Information beispielsweise an das Fortbildungsteam weiter. Eure Fragen und Wünsche werden gehört und wir versuchen gemeinsam im Verband darauf einzugehen.

Aktuell ist Verstärkung im Team dringend nötig, nachdem Rebekka Sadiki-Peckary aus Zeitgründen ausgestiegen ist. Mein Plan ist es, mehr in die praktische Umsetzung zu kommen. Ich möchte beispielsweise einen Leitfaden zum Umgang mit KI verfassen. Denkbar wäre auch, gemeinsam eine Art Prompt-Bibliothek für das Lektorat zu bauen. Prompts sind dabei gut formulierte Eingabeaufforderungen für KI-Chatbots. Diese stünden dann allen Mitgliedern zur Verfügung und könnten noch weiter verbessert werden.

Was motiviert dich, dich im VFLL mit den verschiedenen KI-Tools auseinanderzusetzen und welche Ziele verfolgst du damit?

Meine Hauptmotivationen sind wohl Neugier, Faszination und Teilhabe. Gerade der letzte Punkt ist ein großer Antrieb. Ein Beispiel aus meiner Übersetzungsarbeit für Einfache oder Leichte Sprache: Viele Webseiten von Städten und Kommunen bieten Nachrichten an. Nicht alle Menschen können das verwendete Sprachniveau verstehen. Mit KI können wir diesen Menschen tagesaktuelle Übersetzungen bieten. Natürlich sind diese vielleicht nicht perfekt. Und natürlich muss eine Fachperson die Übersetzungen auf Verständlichkeit und richtigen Inhalt prüfen, aber diese Informationen sind nun verfügbar. Ohne KI gibt es diese Informationen gar nicht.
Und selbst wenn ich wollte, ist es mir nicht möglich, alle Tagesmeldungen sofort zu übersetzen und dann vielleicht auch noch von einer Prüfgruppe auf Verständlichkeit testen zu lassen.

Darum bin ich hier pragmatisch: lieber nicht ganz perfekte Übersetzungen als gar keine. Wobei ich betonen möchte: Es geht hier um schnell konsumierbare Texte. Bei langlebigen Texten beispielsweise für Museen oder bei Texten, an denen Menschenleben hängen, würde ich immer die Arbeit einer gelernten Fachkraft einer KI vorziehen.

Und zur Auseinandersetzung mit den KI-Tools muss ich ehrlich sagen, dass ich nicht die Zeit habe, mich mit allen KI-Tools auseinanderzusetzen. Es sind aktuell in den verschiedenen Bereichen rund um das Lektorat so viele Tools auf dem Markt. Ich bin teils auch nicht Fachfrau genug, um die Qualität eines KI-Tools beurteilen zu können. Ich kann beispielsweise keine Empfehlungen für Plagiats- oder Recherche-Tools aussprechen, da diese Bereiche nicht meine Kernkompetenzen sind.

Darum wünschen wir uns ein breit aufgestelltes KI-Nerds-Team, das sich aus vielen Bereichen zusammensetzt.

Welche Art von Unterstützung könnten die KI-Nerds momentan am meisten gebrauchen und wie können interessierte Mitglieder dazu beitragen?

Schön wäre es, wenn unser Team wächst und dabei möglichst vielfältig ist. Dann können wir KI-Tools aus verschiedenen Bereichen testen. Es ist dabei nicht nötig, ein Programmierprofi zu sein. Wir brauchen Lektoratsprofis, die Lust haben und neugierig sind, KI-Tools herauszufordern.

Wir freuen uns über kritische Stimmen, die Motivation mitbringen, sich an einem Projekt wie einem KI-Leitfaden zu beteiligen. Es würde auch schon sehr helfen, wenn jemand vielleicht ein Tool getestet hat, begeistert ist und einen Testbericht dazu schreibt. Teilt euer Wissen. Wir alle profitieren davon, wenn wir unsere Erfahrungen im Bereich KI in Form von Praxistests über den geschützten Mitgliedsbereich oder Blogbeiträgen teilen.

Damit könnten wir die KI-Rubrik auf der Webseite erweitern, so dass sie ständig wächst. Das Thema KI können wir nur gemeinsam angehen und jedes Verbandsmitglied kann einen Beitrag dazu leisten und sei er noch so klein. Was das sein könnte? Ihr habt einen interessanten KI-Artikel gelesen. Dann schickt ihn uns den Link, wir können ihn in der KI-Rubrik veröffentlichen und dann können alle an der Information teilhaben.

Du bietest selbst Einstiegsseminare für den Gebrauch von ChatGPT bei der Textarbeit an. Kannst du uns einen Einblick in die Inhalte geben?

Mein Einstiegsworkshop ist dreiteilig. Ich versuche kurz zu erklären, was KI ist und wie sie trainiert wird. Dann gehe ich auf Risiken und Nebenwirkungen ein. Mir ist es sehr wichtig, dass sich alle Teilnehmenden der eigenen Verantwortung bewusst sind. Das betrifft den Energie- und Wasserverbrauch wie auch die Frage, bei was uns die KI wirklich unterstützen soll. Ich halte nichts davon, einer Autorin oder einem Autor zu raten, sich etwas von der KI schreiben zu lassen. Aber ich kann zeigen, wie die KI bei der Ideenfindung unterstützen kann.

Im zweiten Teil zeige ich einen einfachen Promptaufbau und wir testen Prompts für KI-Chatbots in der Praxis. Der dritte Teil stellt weitere KI-Tools abseits von Chatbots vor. Die KI-Welt ändert sich so schnell, dass ich spätestens alle vier Wochen meinen Kurs anpassen muss. Das macht das Ganze herausfordernd.

Wie hat dein Hintergrund in der Physik deine Herangehensweise an die Arbeit mit der KI beeinflusst?

Ursprünglich habe ich Biologie studiert. Ich habe nicht zur Physik gewechselt, weil mich das Thema plötzlich gepackt hat. Ich hatte Physik in der 10. Klasse mit der Note 4 abgewählt. Ich habe mich für Physik entschieden, weil ich ein Dickkopf bin und mir das Studium herausfordernder erschien. Darum ist für mich auch klar, dass jede und jeder sich in das Thema KI einarbeiten kann. Es klappt nicht gleich? Egal, probiere es noch mal. Klappt wieder nicht? Egal, noch mal!

Und was vielleicht auch durch das Studium kommt: Wir haben zusammengehalten. Wenn jemand nicht weiterwusste, haben wir es gemeinsam noch einmal angeschaut. Das ist mir auch beim Thema KI wichtig: Stellt Fragen! Seid kritisch! Betrachtet das Thema KI von allen Seiten. Bildet euch eine Meinung! Tauscht euch aus! KI können wir nicht ignorieren und wir sollten alle einen Beitrag dazu leisten, dass sie uns dient und nicht knechtet.

Ein Blick in die Glaskugel: Wie siehst du persönlich die Zusammenarbeit zwischen dem menschlichen Lektorat und KI-Tools in der Zukunft?

Für mich ist KI ein Werkzeug und ich wünsche mir für das Lektorat, dass wir lernen mit diesem Werkzeug umzugehen. Es geht nicht darum, dass die KI für mich schreibt, sondern dass ich mit der KI schreibe, wenn ich das möchte.

Und ja, es wird immer Menschen geben, die einfach alles an die KI abgeben. Sie lernen nichts dazu. Aber genauso wird es Menschen geben, die durch KI befähigt werden, Dinge zu tun, an denen sie bisher nicht teilhaben konnten.

Die Arbeit im Lektorat wird sich definitiv ändern und KI wird Aufgaben übernehmen. Aber auch wir werden uns ändern. Unsere Arbeit ist dann vielleicht noch näher an den Schreibenden. Wir können diesen Prozess mitgestalten. Gebt einander Einblicke, wie sich eure Arbeit mit KI ändert sowohl im Guten wie im Schlechten. Dann können wir lernen und das Lektorat aktiv gestalten.

Leseempfehlung

Am Schluss möchte ich noch ein Lieblingsbuch von mir empfehlen: David Eggers „Every“. Hier wird KI mit den besten Absichten eingesetzt. Ein Ergebnis: Bücher, die alle maximal 300 Seiten haben. Alle Kapitel erhalten ein Ranking. Die durchschnittliche Lesezeit wird ermittelt. Alles wird Durchschnitt. Alles mit den besten Absichten. Auch beim Vorgängerbuch „The Circle“ (eine Anspielung auf Facebook) geschieht alles mit den besten Absichten. Und wenn Unternehmen wie Meta heute unsere privaten Beiträge in Social Media mit den scheinbar besten Absichten für KI-Trainingszwecke nutzen wollen, dann sollten wir uns ernsthaft fragen, ob wir davon wirklich profitieren. Darum: Beschäftigt euch mit KI, sprecht und gestaltet mit!

Interview: Katja Rosenbohm
Korrektorat: Sibylle Schütz
Beitragsbild: Katrin Nägele, (c) Lena Reiner


Neugierig geworden? Wer sich den KI-Nerds anschließen möchte, schreibt an ki-nerds@vfll.de.


Katrin Nägeles Website und Profil im VFLL-Lektoratsverzeichnis


Alle wichtigen Informationen zum Verband finden sich auf der VFLL-Website.
Die Rubrik „KI“ ist für eingeloggte Mitglieder im internen Bereich zu erreichen.


Mehr zum Thema KI im VFLL-Blog:
Künstliche Intelligenz: Die Verlagsbranche ist wachsam, die Lektorin ist es auch (2022)
Rückblick: Die digitale future!publish 2022 (2022)
QualiFiction – künstliche Intelligenz für Buchverlage (2019)

2 Gedanken zu „„KI nicht als Konkurrenz, sondern als Werkzeug zu begreifen“

  1. Diana Steinborn

    Liebe Katrin,
    ein ganz toller Beitrag, großartig! Ich bin der gleichen Meinung: KI nicht ablehnen oder meiden, sondern für die eigenen Zwecke nutzen. Man sollte vor allem keine Angst davor haben, sondern lernen, mit KI-Tools umzugehen. Der Taschenrechner ist schließlich auch ein Hilfsmittel und trotzdem kann man noch im Kopf rechnen!
    Herzlichen Dank für das gedruckte Interview an Dich und Katja,
    liebe Grüße
    Diana

    Antworten
  2. Hans Peter Roentgen

    Hallo,
    ich habe in meinem eigenen Blog einmal einen KI-Text lektoriert und festgestellt, dass die KI so ziemlich alle Anfängerfehler macht :-).
    https://hproentgen.wordpress.com/2024/04/24/lektorat-ki-und-goethe/
    Ich kann jedenfalls das, was Katrin Nägele sagt, nur dick unterstreichen.
    Natürlich könnte man durch bessere Prompts bessere KI Texte erreichen. Aber das ist auch wieder Arbeit und vor allem muss man sich da gut auskennen.
    Herzliche Grüße, Hans Peter Roentgen

    Antworten

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert