In einer Branche, die von einem anhaltenden Boom geprägt ist, kämpfen viele Übersetzer*innen dennoch mit stagnierenden Honoraren. VFLL-Mitglied Franziska Riedel, die Light Novels, Romane und Kinder-/Jugendbücher lektoriert und japanische Literatur übersetzt, kennt diese Entwicklung aus eigener Erfahrung. Sie ist Mitunterzeichnerin eines offenen Briefes des VdÜ zur Honorarsituation der Manga- und Light-Novel-Übersetzenden. Im Interview gibt sie Einblicke in ihre Arbeit, spricht offen über den finanziellen Druck und warum sie sich für bessere Arbeitsbedingungen in der Buchbranche einsetzt.
Manga und Light Novels erleben einen Boom, doch die Honorare für Übersetzer*innen stagnieren. Wie erklärst du dir diese Diskrepanz zwischen wachsendem Markt und sinkenden Honoraren?
Die Honorare sinken in absoluten Zahlen (zumindest bei den meisten Verlagen) natürlich nicht – das Problem liegt darin, dass sie stagnieren bzw. über die vergangenen Jahrzehnte hinweg nur so geringfügig angehoben wurden, dass man aufgrund der beispielsweise durch die Inflation gestiegenen Lebenshaltungskosten effektiv weniger in der Tasche hat als vor zwanzig oder dreißig Jahren. Damals bewegten sich die Honorare auch schon auf einem niedrigen Niveau, allerdings war das in den 1990ern und den 2000ern auch nachvollziehbarer als heute, da der Markt noch kleiner war.
Ich denke, die Gründe dafür, dass die Bezahlung heute – trotz des Booms seit der Pandemie – so niedrig ausfällt, sind vielfältig. Ein Stück weit haben sich die Verlage vermutlich daran gewöhnt, dass die für sie tätigen Übersetzer*innen sich wegen ihrer Leidenschaft für das Medium Manga bzw. seit einigen Jahren auch Light Novel lange Zeit mit niedrigen Honoraren zufriedengegeben haben, solange sie überhaupt irgendwie davon leben konnten. Dieser Eindruck entsteht zumindest, wenn man sich bei so manchem Verlag die Honorarentwicklung seit den Anfängen der Branche ansieht, die einige meiner älteren Kolleg*innen gut dokumentiert haben. Dass die Lebenshaltungskosten für uns genauso gestiegen sind wie für alle anderen und wir – genau wie Unternehmen – wirtschaftlich denken und handeln müssen, wenn wir überleben wollen, wurde dabei bisher nicht berücksichtigt.
In der Branche hat sich zudem das für Selbstständige eigentlich sehr seltsame System etabliert, dass die Kundschaft ein bestimmtes Honorar vorgibt und man dieses als Freiberufler*in nur akzeptieren oder ablehnen, jedoch in den allermeisten Fällen nicht verhandeln kann. Versucht man Letzteres, wird gern darauf verwiesen, dass ein Abweichen vom festgelegten Satz den anderen Übersetzer*innen gegenüber unfair sei oder dass der Verlag aufgrund gestiegener Druckkosten etc. nicht mehr zahlen könne, da die Umsatzsteigerung nicht mit einer Gewinnsteigerung einhergehe. Die wachsende Zahl neuer Lizenzen spricht allerdings durchaus für größere Gewinne – nur werden diese nicht in die Verbesserung unserer Arbeitsbedingungen investiert, sondern in weiteres Wachstum durch mehr pro Jahr erscheinende Titel, Werbeartikel etc. Auch die Tatsache, dass sich in den vergangenen Jahren mehrere neue Verlage in dem Bereich gegründet oder bereits länger bestehende Verlage ihr Sortiment um Manga und/oder Light Novels erweitert haben, spricht dafür, dass in der Branche ausreichend große Gewinne erzielt werden, um theoretisch auch uns fair zu bezahlen.
Ein weiteres „Problem“ ist die starke Fankultur in der Branche. Diese ist natürlich vor allem etwas Positives – auch wir freuen uns darüber, dass Manga und Light Novels in Deutschland inzwischen so gut ankommen. Allerdings macht sie uns Übersetzer*innen aus Verlagssicht auch ein Stück weit „ersetzbar“, denn es finden sich zum Beispiel in den Japanologien [Anm. der Red.: damit sind die Japanologieinstitute gemeint] im deutschsprachigen Raum, aber auch auf Messen und Conventions schnell neue Übersetzer*innen, die aus Unwissenheit bereit sind, für geringe Honorare zu arbeiten, was unsere Verhandlungsposition weiter schwächt und auch Neulingen in der Branche letztlich nichts bringt. Teilweise bestehende Qualitätsunterschiede zur Arbeit erfahrenerer Übersetzer*innen scheinen für die Verlage nicht weiter ins Gewicht zu fallen, solange sich die Titel verkaufen. Mit unserer aktuellen Kampagne wollen wir auch Student*innen und Berufsanfänger*innen darüber aufklären, was Freiberuflichkeit und eine nachhaltige Preiskalkulation bedeuten, denn kurz nach dem Studium erschienen die Honorare auch den meisten von uns zunächst angemessen, bis wir mit der Zeit gemerkt haben, dass sie es nicht sind, weil die investierte Zeit in keinem guten Verhältnis zum letztendlichen Einkommen steht, man sich kaum Freizeit erlauben kann usw.
Du bist sowohl VFLL-Mitglied als auch im VdÜ aktiv. Was motiviert dich besonders, dich für die Rechte und Honorare von Übersetzer*innen einzusetzen?
Im VdÜ bin ich selbst nicht aktiv. Den Erstkontakt hat eine Kollegin hergestellt und sie sowie mehrere andere Mitglieder unseres Arbeitskreises haben an Verbandsmeetings zu unserer Aktion teilgenommen. Tatsächlich übersetze ich persönlich auch erst seit knapp zwei Jahren, aber habe selbst in dieser noch kurzen Zeit schnell gemerkt, dass man für ziemlich viel Arbeit relativ wenig Geld erhält, wobei auch zwischen den Verlagen noch einige Unterschiede bestehen. Da ich in einer mittelgroßen Stadt im Osten lebe und weder eine riesige Wohnung noch ein Auto oder Kinder habe, komme ich im Großen und Ganzen noch gut über die Runden (allerdings wie die anderen mit wenig Freizeit), aber ich weiß, dass das bei vielen anders aussieht, und Dinge wie eine ordentliche Altersvorsorge oder auch einfach nur die Bildung von Rücklagen für Krankheitszeiten oder Ähnliches sind für Dienstleister*innen in der Branche generell schwer umsetzbar. Mich motiviert daher mein Wunsch, dass wir alle von dieser eigentlich so wundervollen Arbeit auch angemessen leben können, ohne uns ständig Sorgen über unsere Finanzen machen zu müssen, und zwar auch dann, wenn ein Projekt mal anspruchsvoller und daher zeitaufwendiger ist.
Zudem erhoffe ich mir weitere Initiativen aus anderen Literaturbereichen und auch von Lektor*innen und Korrektor*innen, denn diese werden von Verlagen meiner Erfahrung nach nicht nur in der Manga-Branche mindestens genauso schlecht bezahlt wie Übersetzer*innen.
Wirkt sich die derzeitige Honorarsituation auf die Qualität von Übersetzungen aus? Welche Risiken birgt diese Entwicklung langfristig für Verlage und letztlich auch fürs Lektorat?
Grundsätzlich bemühen sich alle professionellen Übersetzer*innen natürlich um eine möglichst hohe Qualität. Allerdings zwingt uns die aktuelle Honorarsituation, viele Projekte gleichzeitig zu bearbeiten, um unseren Lebensunterhalt bestreiten zu können. Dadurch bleibt pro Text weniger Zeit für intensive Recherchen, die Verbesserung von Formulierungen usw., sodass die Qualität teilweise Schaden nimmt. Beispielsweise kommt es zu unsauber übersetzten Stellen, holprigen Ausdrücken oder vielen orthografischen Fehlern, die sich bei mehr Zeit für den jeweiligen Text hätten vermeiden lassen. Im Lektorat und im Korrektorat müssen diese Unsauberkeiten und diese Fehler dann ausgebügelt werden, wobei in diesen Arbeitsbereichen ja wie gesagt dieselben Probleme bestehen – niedrige Honorare, Zeitdruck durch zu viele Projekte gleichzeitig und auch zu knapp bemessene Deadlines seitens der Verlage – und man sich auch hier nicht länger als unbedingt nötig der Verbesserung eines Textes widmen kann.
Es bleiben also zwangsläufig Fehler übrig, die dann leider so im Endprodukt landen. Das ärgert nicht nur uns als Dienstleister*innen, die natürlich gute Arbeit abliefern wollen, sondern auch die Kundschaft. Im Internet gibt es immer wieder Debatten zur Übersetzungsqualität und nicht selten liest man, dass Kund*innen deshalb lieber auf die englischen Ausgaben ihrer Lieblingsserien zurückgreifen. Die momentanen Bedingungen schaden also letztlich auch den Verlagen.
Was motiviert dich, trotz aller Herausforderungen weiterhin als Übersetzerin zu arbeiten und dich für bessere Bedingungen einzusetzen?
Die Liebe zur Sprache und zum Übersetzen wie auch zur japanischen Kultur, die ich damit Tag für Tag der deutschen Leserschaft näherbringen kann, der Zuspruch von Kolleg*innen, die angenehme Zusammenarbeit mit den Redaktionen, die nichts für unsere Bedingungen können. Es gibt viele Dinge, die ich an diesem Beruf sehr schätze, und statt das alles aufzugeben, setze ich mich lieber gemeinsam mit den anderen für bessere Bedingungen für uns und unsere Nachfolger*innen ein – denn wenn wir einfach aufhören, wäre diesen auch nicht geholfen.
Wie können nach deiner Meinung Übersetzer*innen, Lektor*innen und andere Beteiligte der Buchbranche zusammenarbeiten, um den Druck auf Verlage zu erhöhen und nachhaltige Veränderungen zu bewirken?
Zum einen halte ich die weitere Vernetzung der Freien innerhalb der Buchbranche für sehr wichtig. Berufsverbände wie der VFLL und der VdÜ leisten diesbezüglich schon einen tollen Beitrag, insbesondere wenn sie sich durch Dinge wie dieses Interview gegenseitig unterstützen und Initiativen wie unsere verbandsübergreifend bekannt machen. Ich denke, man muss die Verbesserung unser aller Arbeitsbedingungen gemeinschaftlich angehen und sollte Petitionen wie unsere aktuelle auch dann unterschreiben und Social-Media-Posts, Interviews in Zeitungen, Podcasts usw. auch dann liken, teilen und mit Bekannten besprechen, wenn das Thema einen selbst vielleicht gerade nicht betrifft. Uns ist bewusst, dass zum Beispiel Manga und Light Novels nicht alle Menschen interessieren, aber unsere Aktion kann trotzdem ein Anstoß sein, insgesamt etwas zu verbessern, denn letztlich haben wir ja alle mit ähnlichen Problemen zu kämpfen.
Zum anderen denke ich, dass wir versuchen müssen, die Leserschaft ins Boot zu holen, denn auf deren Gunst sind die Verlage angewiesen. Wir sollten mehr darüber aufklären, unter welchen Bedingungen wir arbeiten und was es generell bedeutet, freiberuflich tätig zu sein. Wir sollten erläutern, warum man beispielsweise pro Stunde deutlich mehr verdienen muss, als wenn man irgendwo angestellt ist, und auch darauf hinweisen, dass Whataboutism niemandem etwas bringt. [Anm. d. Red. Whataboutism ist „die Technik oder Praxis, auf eine Anschuldigung oder eine schwierige Frage mit einer Gegenfrage zu antworten oder ein anderes Thema aufzugreifen“, Oxford Living Dictionary]. Wir sollten die Menschen dazu ermutigen, sich für sich selbst und andere einzusetzen, statt nur zu sagen: „XY geht es aber auch schlecht“, und die Verlage auf die Problematik anzusprechen. Es wären auch verbandsübergreifende Infoaktionen für die Leserschaft denkbar. Wir sollten insgesamt sichtbarer und lauter werden als bisher und gemeinsam agieren, statt einzeln um Veränderungen zu kämpfen.
Interview: Katja Rosenbohm
Korrektorat: Sibylle Schütz
Beitragsfoto: Franziska Riedel, (c) privat
Zum Berufsverband für Literaturübersetzer*innen VdÜ; der VdÜ ist eine Partnerorganisation des VFLL.
Franziska Riedels Website und Profil im VFLL-Lektoratsverzeichnis
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Übersetzungslektorat: Konstruktive Zusammenarbeit statt Konflikt (2023)
Die Zahlen auf den Tisch – ein Gespräch über die Honorarsituation und das wirtschaftliche Selbstverständnis im Freien Lektorat (2022)