Über Geld spricht man im Allgemeinen gar nicht gerne, der eigene Verdienst ist geradezu ein Tabuthema. Im VFLL scheint sich das gegenwärtig zu ändern: Das Thema Honorare stieß in der „Zukunftswerkstatt Freies Lektorat“ im vergangenen Jahr auf so großes Interesse, dass im Verband inzwischen eine Arbeitsgruppe zum Thema existiert. Kürzlich offenbarte eine verbandsinterne Umfrage, wie unterschiedlich und bisweilen prekär die Honorarsituation der Mitglieder ist.
Von Dr. Wenke Klingbeil-Döring
Über die Problematik habe ich mit Steff Schulze gesprochen. Im Hauptberuf Gewerkschafterin in Nürnberg, schreibt sie auch selbst. Im vergangenen Jahr hat sie als Expertin zum Thema an der „Zukunftswerkstatt“ teilgenommen und mit dem VFLL über die Honorarproblematik diskutiert. Auf das Thema aufmerksam wurde Steff Schulze als Autorin. Sie sagt: „Ich kann kein Buch veröffentlichen, ohne mich mit den Arbeitsbedingungen aller Beteiligten zu beschäftigen. Das fängt bei Lektor*innen an und hört bei Druck und Buchbindung auf.“ Ihre Recherche zu Honoraren im Freien Lektorat und die Angebote, die sie als Autorin erhielt, machten ihr bewusst, wie breit das Preisspektrum in der Branche ist. Im Hinblick auf die zukünftigen Herausforderungen ihres Berufsfeldes haben freie Lektor*innen aus Steff Schulzes Sicht eine dringende Aufgabe: Das Thema zum Thema machen.
Bringen wir die Zahlen auf den Tisch: Was hat deine Recherche zu den Honoraren im Freien Lektorat ergeben?
Ich habe erst zwei Bücher veröffentlicht, aber bei meiner Suche nach einem passenden Lektorat viel recherchiert. Dabei wurde mir die gesamte Bandbreite präsentiert. Ich entdeckte z. B. auf einer Plattform eine Doktorandin, die mir ein Lektorat für 3,30 Euro pro Normseite anbot. Auf einer anderen Plattform wurden 8,95 Euro für das Lektorat von zwei Normseiten verlangt. Ich erhielt aber auch ein Angebot einer Lektorin, das dreimal so hoch war wie die Angebote anderer Lektor*innen im Durchschnitt.
Bei meiner Recherche fiel mir außerdem auf, wie viele kleine Verbände in der Textbranche berufsfachlich mitsprechen. Ich habe Preis- und Honorarempfehlungen bei mediafon gesehen, dem Beratungsnetz für Solo-Selbstständige der Gewerkschaft ver.di, daneben Kalkulationen der Allianz deutscher Designer e. V. (AGD) und des Bundesverbands freiberuflicher Kulturwissenschaftler e. V. Auch Seiten wie das Portal faire-honorare.de, mit dem Texterin Petra Winkler für mehr Anerkennung und Fairness in der Branche sorgen will, veröffentlichen Honorarempfehlungen.
Sind solche allgemeinen Honorarempfehlungen für Freie Lektor*innen tatsächlich aussagekräftig? Schließlich haben wir zum Teil sehr unterschiedliche Arbeitsschwerpunkte.
Selbstverständlich sind erstmal alle allgemeinen Angaben zu Kosten je Normseite oder zu Stundensätzen und Honoraren mit Bedacht zu betrachten. Dabei handelt es sich um Empfehlungen, die in der Regel nicht auf repräsentativen Erhebungen basieren. Die AGD liefert in ihrem Vergütungstarifvertrag klare Kennzahlen, die bei den gebundenen Auftraggeber*innen als Mindestpreise anzusehen sind. All diese Zahlen vermitteln den Beteiligten – Lektor*innen wie Auftraggeber*innen – aus meiner Sicht einen guten Eindruck als Basis für eine solide und faire Preisgestaltung. Denken wir mal an andere Lebensbereiche: Hier vergleichen wir auch komplexe Produkte oder Dienstleistungen und sind durchaus in der Lage, Preise einzuordnen. Wir vergleichen Kfz-Versicherungen, Smartphones, Jobs im Angestelltenverhältnis, Urlaube und Leistungen von Bauträgern. Warum soll das im Freien Lektorat nicht auch möglich sein?
Neben der Vergleichbarkeit geht es natürlich auch um wirtschaftlich tragfähige Honorare: Wir müssen von unserer Arbeit leben können. Ist darüber hinaus der Anspruch auf eine angemessene Bezahlung auch eine Forderung unserer Berufsethik als Freie Lektorinnen und Lektoren?
Ganz sicher. Dass es hier ein achtsames Selbstverständnis braucht, zeigt der Blick in die Zukunft: Aus meiner Sicht wird das Freie Lektorat vor allem durch den wachsenden Markt der Clickworking-Plattformen ganz neu herausgefordert. Auch das Vergabeverhalten vieler Auftraggeber*innen wird sich zunehmend ändern: Sie vergeben, weil es für sie weniger Aufwand bedeutet, immer mehr Aufträge über Plattformen und Agenturen. Um das Berufsbild und die fachliche Qualität zu erhalten und zu festigen, sollten sich vor allem hauptberufliche Lektor*innen mit Fragen der beruflichen Identität und Arbeitsethik beschäftigen. Hochqualifizierte Lektoratsprofis sollten sich ihres breiten Leistungsangebots, ihrer Nischenspezialisierungen und ihrer hohen Qualitätsansprüche bewusst sein, zudem des großen Vorzugs, mit ihren Auftraggeber*innen direkt zu agieren. Das ist bei Agenturen oder Plattformen so nicht gegeben: Hier weiß die Kundin am Ende vielleicht gar nicht, wer ihren Text bearbeitet. Zudem fehlen oft klare Qualitätskriterien, weil allein der Preis zählt. Auch die Verfügbarkeiten unterscheiden sich: Eine Clickworking-Plattform ist nie krank oder im Urlaub, sie muss nicht vorsorgen.
Die Entwicklung, die du beschreibst, nehmen viele von uns wahr: Unsere Konkurrenz wächst stetig, etwa durch Agenturen mit zum Teil intransparenten Geschäftsmodellen. In manchen Bereichen nehmen Kolleg*innen einen deutlichen Preisverfall wahr oder sehen sich immer öfter mit absurden, weil vollkommen unwirtschaftlichen Vorstellungen konfrontiert, was ein Lektorat kosten darf. Kommt da in den nächsten Jahren noch mehr auf uns zu?
Die Corona-Pandemie ist ein Turbo für die Digitalisierung. Von heute auf morgen konnten wir ganz praktisch erleben, dass eine Zusammenarbeit zwischen München und Hamburg auch ohne Präsenz funktioniert. Viele Arbeitnehmende und Arbeitgebende haben sich auf die neue Welt eingestellt. Auch wenn die Pandemie irgendwann überwunden ist, wird es kein Zurück zu den vorhergehenden Verhältnissen geben. Mit der fortschreitenden Digitalisierung wachsen die Clickworking-Plattformen und der Kreis derer, die dort Leistungen anbieten oder einkaufen. Deswegen lautet meine Antwort: Ja, da kommt noch viel auf euch zu. Aber darauf könnt ihr euch vorbereiten. Wenn viele Menschen – in dem Fall ihr Lektor*innen – sich hinter einer Idee und einem Anspruch versammeln, bleibt das nicht unbemerkt. Wirtschaftlich ausgedrückt seid ihr wichtige Marktteilnehmende, ihr habt Einfluss auf den Markt und auf die Preisgestaltung. Das müsst ihr euch bewusst machen. Ihr liefert Qualität, die gefragt ist.
Kannst du verstehen, wenn Kolleg*innen Transparenz fürchten und nicht über ihre Honorare sprechen wollen? Was entgegnest du ihnen?
Unabhängig von den kartellrechtlichen Fragen äußerten während unserer Diskussion in der „Zukunftswerkstatt“ einige Lektor*innen Bedenken, dass die Transparenz auch Probleme schaffen könnte. Die Preise seien doch letztendlich Verhandlungssache. Und: Die Größe eines Auftrags und die Geschäftsbeziehung nähmen ebenfalls Einfluss, wie solle man das alles in allgemeinen Zahlen abbilden? Diese Angst ist aus meiner Sicht unbegründet. Jeder, der auf Honorare blickt, kennt die vielen Einflussfaktoren. Viele vergleichbare Berufe, etwa Fotograf*innen, Kulturschaffende oder Designer*innen, haben sich genau den gleichen Themen zu stellen und tun dies in ihren Verbänden auch. Letztendlich gewinnen die Menschen, Auftraggeber*innen wie Lektor*innen: Die einen erhalten Qualität und Transparenz und die anderen werden für ihre Leistung angemessen entlohnt. Aus meiner Sicht überwiegt der Nutzen im Vergleich zu den vermeintlichen Risiken.
Nach der „Zukunftswerkstatt“ gründete sich im VFLL die AG Honorare. Man will das Thema im Fokus halten, Probleme aufzeigen und Lösungen erarbeiten. Ist das aus deiner Sicht der richtige Weg?
Auf jeden Fall. Die inhaltliche Arbeit wird viele gute Ansätze hervorbringen. Viele der eben schon genannten Berufsgruppen gehen mit vielen guten Beispielen voran und haben gezeigt, welche Lösungswege es gibt.
Tatsächlich haben die Ergebnisse der Honorarumfrage viele aufhorchen lassen. Was können wir als Freie Lektor*innen tun, um unsere Honorare und damit auch unsere berufliche Existenz langfristig zu sichern?
Das Anstoßen und Erweitern der schon genannten Maßnahmen ist der Beginn eines wichtigen Prozesses. Im Laufe der Zeit wird sich herausstellen, welche Rädchen in diesem komplexen System noch weitergedreht werden müssen und welche Mechanismen oder Bereiche sich durch politische Entscheidungen möglicherweise anders als erwartet entwickeln. Wird Clickworking beispielsweise endlich politisch reguliert, kann das große Auswirkungen haben. Ich persönlich fordere – unabhängig von der Art der Tätigkeit – Sozialversicherungsbeiträge auf die Grundbeträge, um einen der unregulierten Räume des Clickworking anzugehen. Aus anderen Branchen wissen wir, dass eine Positionsänderung des führenden Verbandes ebenfalls Auswirkungen hat. Konferenzbeschlüsse oder Verbandsmitteilungen sind ja keine Einbahnstraßenmitteilungen in die Branche, sondern sie schaffen mehr Transparenz und signalisieren Einigkeit. Sie stoßen wichtige Diskussionen an, insofern haben Berufsverbände schon einen gewissen politischen Einfluss. Was, wenn der VFLL die Ergebnisse einer umfassenden Honorarumfrage veröffentlicht? Wie werden große Verlage oder die Agenturen darauf reagieren, wie Auftraggeber*innen oder die anderen Verbände der Branche? Wie viel Kooperationsarbeit ist hier möglich?
Jede*r Lektor*in entscheidet am Ende selbst, zu welchem Preis sie oder er die eigene Arbeitsleistung verkauft. Als Gemeinschaft entscheidet ihr, ob und wie ihr beim Thema Honorare etwas bewegen wollt. Diese Entscheidung kann niemand stellvertretend fällen. Ich glaube aber fest: Schweigen ist Silber, Schreiben ist Gold.
Interview: Dr. Wenke Klingbeil-Döring
Beitragsbild: (c) Gerd Altmann / pixabay
Fotos: Dr. Wenke Klingbeil-Döring, privat; Steff Schulze
Kontaktperson der AG Honorare ist Antonie Hertlein, hertlein@texte-lektorat.de
Dr. Wenke Klingbeil-Dörings Website und Profil im VFLL-Verzeichnis
Weitere Links zum Thema Honorare:
Honorare im Lektorat auf der VFLL-Website
Dritte VFLL-interne Honorarumfrage: Auswertung liegt nun vor (2021)
„Erste bundesweite Honorarumfrage unter freiberuflichen Lektorinnen und Lektoren gestartet“ (Pressemitteilung zur ersten bundesweiten Honorarumfrage unter freiberuflichen Lektorinnen und Lektoren, 2005)
„Honorarumfrage belegt: Freie Lektoren nach wie vor unterbezahlt“ (Pressemitteilung zur zweiten Honorarumfrage, 2008)