War die Sprache in den Medien früher besser? Die beiden Nachrichtenredakteure Sebastian Pertsch und Udo Stiehl müssen es wissen, denn sie veröffentlichen täglich auf floskelwolke.de abgedroschene Formulierungen, die in den Medien erschienen sind. In ihrem Buch „‚Ihr Anliegen ist uns wichtig!’ So lügt man mit Sprache“ nehmen sie sich auch weitere – Achtung! – Bereiche vor, in denen ihnen sprachliche Absurditäten begegnet sind.
Von Christiane Kauer
Liegt es an mir? Bin ich beruflich vorbelastet? Werde ich alt? Oder wieso habe ich den Eindruck, die Sprache in den Medien war früher besser – präziser, ausführlicher und nicht so sensationsheischend? Die Nachrichtenredakteure Sebastian Pertsch und Udo Stiehl, die auf floskelwolke.de abgedroschene Formulierungen zählen, haben es bestätigt: In deutschen Medien wimmelt es von Phrasen, Floskeln und Formulierungen. Mein Eindruck täuscht also nicht.
In ihrem Buch „‚Ihr Anliegen ist uns wichtig!’ So lügt man mit Sprache“ nehmen die beiden auch weitere sprachliche Absurditäten unter die Lupe. Das Ergebnis ist manchmal witzig, wenn zum Beispiel die „Worthölle des Drehschalters“ an einem Wäschetrockner anzeigt, dass der Trockner nicht einfach trocknet, sondern die Wäsche bügelfeucht, leichtfeucht und mangelfeucht hinterlässt – wenn er sie nicht normaltrocken und schranktrocken hinbekommen hat.
Erhellend ist es zum Beispiel, wenn Sebastian Pertsch und Udo Stiehl die „dunklen Hintergründe“ der Wirtschaftswelt ausleuchten. Sie erklären, dass Minuswachstum und Positivverlust nichts anderes sind als ein Nullwachstum und stellen nüchtern fest, dies entspräche „dem Wert dieser Wortschöpfungen: null“.
Und für jeden, der sich schon öfter gefragt hat, warum es zu jedem Schneefall im Winter eine Sondersendung gibt, hat das Buch die richtige Antwort: Weil die Leute vom Schnee eiskalt erwischt wurden und der plötzliche Wintereinbruch die Lawine losgetreten hat – für das jährliche Medienspektakel, das meist schon Tage vorher angekündigt war: Es schneit!
Wo bislang ein einfaches Wort reichte, muss heute aufgebläht werden. Anschaulich wird das an den Beispielen Bereich und Aktion. So wird ein Protest zu einer Protestaktion, eine Rettung zu einer Rettungsaktion und – noch schlimmer, weil zugleich verharmlosend – der Einsatz von Kampfflugzeugen und der Abwurf von Bomben zu einer Militäraktion.
Wenn man früher ganz einfach von Esszimmer, Wohnzimmer und Küche sprach, so wird heute im Immobilienbereich von Essbereich, Wohnbereich und Kochbereich gesprochen. Und ein Unfall passiert nicht mehr auf einer Kreuzung, sondern im Kreuzungsbereich. Die trockene Analyse der Autoren: „Der Bereich ist kein Wort, er ist der Herpes der deutschen Sprache.“ Recht haben sie.
Die kleine Reise durch die wundersame Welt der Sprache lohnt sich. Das Buch macht Spaß, regt zum Nachdenken an, ist immer unterhaltsam. Und es schärft den Blick. Als ich nach der Lektüre des Buches die Zeitung aufschlug, fiel mir sofort ein Satz auf: „Herr G. arbeitet jetzt als Flüchtling auf einem Bauernhof.“ Ich wusste gar nicht, dass Flüchtling ein Beruf ist. Herr Pertsch, Herr Stiehl – es gibt noch einiges zu tun!
Sebastian Pertsch und Udo Stiehl: „Ihr Anliegen ist uns wichtig!“ So lügt man mit Sprache, Piper Verlag, München/Berlin 2016. 208 Seiten, Taschenbuch, ISBN Print: 978-3-492-30784-0, E-Book: 978-3-492-97162-1
Erhältlich online zum Beispiel bei buch7.de, buchhandel.de oder direkt beim Verlag.
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