Berufsziel Lektorat

Nicht nur für Studierende

Kann ein Buch, das mit Berufsziel Lektorat betitelt ist, vorwiegend das Verlagslektorat behandelt und sich an Studierende richtet, für freiberuflich tätige Lektorinnen und Lektoren überhaupt interessant sein? Um die Antwort vorwegzunehmen: durchaus, insbesondere für Freie, die nicht über einschlägige Verlagserfahrungen verfügen, aber für Verlage arbeiten (möchten).

Von Joachim Fries

Denn als Freiberufler* sollte man wissen, wie die Kunden ticken, was sie machen, wie sie es machen und wer für was zuständig ist. Und all diese und andere Fragen beantwortet das Buch, wenngleich nicht aus der Sicht des Freien Lektorats, so doch hilfreich für das Freie Lektorat.

Beruf ohne Berufsbild

Im ersten Teil behandelt Günther Fetzer zunächst Aufbau und Struktur eines Verlages und führt eine Verlagstypologie ein, die die Vielfalt der Verlagslandschaft grob abbilden soll: Publikumsverlag, Fachverlag und Wissenschaftsverlag, ersteren unterteilt er wiederum in die Sparten Belletristik, Sachbuch und Ratgeber. Weiterhin thematisiert er Begriff und Bild des Lektors, der oft zu Unrecht auf den literarischen Lektor reduziert wird. Es wird deutlich, dass der Lektor ein Beruf ohne ein (fest umrissenes) Berufsbild und ohne eine (geregelte) Ausbildung ist. Gleichwohl lassen sich für Lektoren notwendige Kompetenzen und Grundkenntnisse sowie Skills und Soft Skills angeben, wobei man der Systematik und den Differenzierungen des Autors fachlich nicht beipflichten muss: Softskills beispielsweise sind nichts anderes als personale und soziale Kompetenzen. Und schließlich stellt Fetzer die Funktionen und Hauptaufgaben von Lektoren im Allgemeinen dar, die er zu vier Bereichen bündelt: Akquisition (von Texten und Autoren), Autorenbetreuung, Arbeit am Text und Dienstleistungen (gegenüber anderen Verlagsabteilungen wie Herstellung oder Werbung). Vor dem Hintergrund des Strukturwandels im Verlagswesen zeigt er die Veränderungen der Lektoratsarbeit auf, die sich in den letzten Dekaden vollzogen haben. Dabei problematisiert er die heute üblichen Bezeichnungen „Produktmanager“ und „Projektmanager“, die von den originären Bedeutungen abweichen: Weder ist der Lektor für den gesamten Lebenszyklus des Produktes Buch hauptverantwortlich noch sind Bücher für Verlage Projekte, sondern Routineaufgaben.

Vielfalt der Lektoratsarbeit

Den zweiten Teil strukturiert der Autor anhand seiner Verlagstypologie und geht auf die Lektoratsarbeit im Publikumsverlag – unterschieden nach den Sparten Belletristik, Sachbuch und Ratgeber –, Fachverlag und Wissenschaftsverlag ein. Dabei greift er die zuvor skizzierten Aufgabenbereiche Akquisition, Autorenbetreuung, Textarbeit und Dienstleistungen auf und zeigt im Detail, wie sich die Arbeit in den verschiedenen Verlagstypen darstellt, worin sich die Aufgaben gleichen und unterscheiden. Denn bei allen Gemeinsamkeiten gibt es unterschiedliche Schwerpunkte und Vorgehensweisen, nicht nur zwischen den Verlagstypen, sondern auch zwischen den Verlagen, wie Fetzer mit etlichen Praxisbeispielen belegt. Für die Leserinnen wäre es noch anschaulicher und nützlicher gewesen, wenn exemplarische Genres in der Belletristik oder Subtypen von Ratgebern einer ausführlicheren Darstellung gewürdigt worden wären, sie werden nur kurz erwähnt oder gestreift. Das letzte Kapitel ist dem Freien Lektorat gewidmet. Fetzer nimmt immer wieder Bezug auf die Lektoratsarbeit im Verlag und zeigt, welche Aufgaben freie Lektorinnen am und rund um den Text wahrnehmen können. Angesichts der Fülle potenzieller Kunden und Aufträge kann das freilich nur sehr holzschnittartig geschehen.

Grundkenntnisse rund ums Lektorat

Der dritte Teil vermittelt Basiswissen für die angehende Verlagslektorin in den Bereichen Betriebswirtschaft, Herstellung, Marketing, Öffentlichkeitarbeit und Recht. Auswahl und Schwerpunktsetzung von Inhalten und Aspekten sind gut gelungen, alles Wichtige wird gesagt. Der Aufbau der einzelnen Kapitel folgt ihrer inneren Logik, beispielsweise wird die Herstellung anhand des herkömmlichen Workflows und des neuen im digitalen Zeitalter strukturiert, das Marketing gemäß des klassischen Modells des Marketingmixes (Product, Price, Place, Promotion) oder das Recht mittels relevanter Bestimmungen, wobei dem Verlags- und Urheberrecht der meiste Platz eingeräumt wird. Der aktuelle Normvertrag für den Abschluss von Verlagsverträgen wird nicht nur wiedergegeben, sondern auch einzelne Regelungen kommentiert, über die ein unbedarfter Leser hinwegliest: Was bedeutet Stichentscheid beim Titel? Was ist der semantisch feine, aber ökonomisch gar nicht so kleine Unterschied zwischen dem Nettoladenpreis und dem Nettoverlagsabgabepreis? Warum muss die Autorin versichern, dass sie allein berechtigt ist, über die urherberrechtlichen Nutzungsrechte an ihrem Werk zu verfügen? Wichtige Hinweise aus der Praxis für die Praxis. Kleines Manko: Beispiele für buchnahe und buchferne Rechte wären hilfreich gewesen. Ansonsten gibt es gute Beispiele bekannter Verlage und Reihen. Sie haben hohen Wiedererkennungswert oder sorgen gar für Aha-Effekte. Das beschließende Kapitel „Wege in den Beruf“ geht auf Aspekte wie Anforderungsprofil, einschlägiges Studium, Praktikum, Volontariat und Verlagskarriere ein.

Didaktische Aufbereitung

Der Anhang umfasst Literaturverzeichnis, Abbildungsverzeichnis und Sachregister. Als utb enthält das Werk darüber hinaus didaktische und typografische Elemente wie Eyecatcher, Infokästen und zahlreiche Literaturhinweise, mit der unüblichen, doch hilfreichen Besonderheit, Bücher nicht nur zur Vertiefung zu empfehlen, sondern auch von manchen mangels Relevanz oder Aktualität abzuraten. Der Illustration dienen neben den Beispielen zahlreiche selbst entworfene oder aus anderen Werken übernommene Abbildungen. Hier muss leider die Qualität der Reproduktionen moniert werden: Die Lesbarkeit ist angesichts der schlechten Auflösung grenzwertig. Und einige Druckfehler und Textwiederholungen wären vermeidbar gewesen.

Insgesamt aber kann das Buch sehr empfohlen werden, wie gesagt, nicht nur Studenten, die mit einer Tätigkeit im Verlag liebäugeln, sondern auch freien Lektorinnen, die Hintergrundwissen zur Arbeit von und in Verlagen haben möchten. Gepaart mit einer klaren Strukturierung machen Informationsdichte und Anschaulichkeit die Lektüre gewinnbringend. Günther Fetzer spielt seine Stärken aus: Als ehemaliger Verlagslektor und jetziger Buchwissenschaftler bringt er Praxiserfahrungen und Fachliteratur zusammen, gibt er gute Beispiele und prägnante Zitate, verbindet er gekonnt Theorie und Praxis. Und deshalb ist sein Werk eine geglückte Gratwanderung zwischen einem berufsorientierenden Fachbuch und einem utb mit wissenschaftlichem Anspruch.

*In diesem Text werden nach Möglichkeit abwechselnd weibliche und männliche Formen verwendet. Im Regelfall sind alle Geschlechter gemeint.

Fetzer, Günther: Berufsziel Lektorat. Tätigkeiten – Basiswissen – Wege in den Beruf. A. Francke Verlag. Tübingen, 2015. 183 Seiten, Broschur, 19,99 Euro, ISBN 978-3-8252-4220-6 (utb 4220)

Erhältlich zum Beispiel bei buchhandel.de und buch7.de.

Coverbild: Verlag

Das Standardwerk für freie Lektorinnen und Lektoren: Leitfaden Freies Lektorat

 

 

 

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert