Digitale Kommunikation (c) geralt / Pixabay

„Vielleicht weniger für den klassischen Lektor …“

Die Lektorentage 2018 in Nürnberg stehen ganz unter dem Motto „Publizieren der Zukunft. Besser mit uns!“. Mit Professor Dr. Max Ackermann, dem Lehrstuhlinhaber für Verbale Kommunikation an der TH Nürnberg, wird nicht nur ein Wissenschaftler auf dem Podium diskutieren, der unter anderem zu Themen wie Schriftlichkeit und Mündlichkeit, Storytelling, Popkultur und Digitalisierung forscht, sondern auch ein Journalist, Autor und Konzeptioner, der die Praxis des digitalisierten Alltags bestens kennt.

Herr Professor Ackermann, Sie sind Experte für „Verbale Kommunikation“. Was verstehen Sie unter diesem Begriff und wie grenzen Sie ihn ein?

Das ist ein Terminus, der schon vor meinem Engagement an der Technischen Hochschule Nürnberg existierte. Ich wurde auf diese Stelle berufen, habe ihn übernommen und seitdem versucht, ihn mit Leben zu füllen. Aber im Grunde bevorzugen meine Studierenden Varianten wie „Multimediale Sprachgestaltung“ oder „Language in Media and Design“. Die zuletzt genannte Wendung schließt übrigens an das MIT an, das Massachusetts Institute of Technology, wo derzeit fast fünfzig Professoren in einem vergleichbaren Bereich tätig sind.

So ist das Feld der Verbalen Kommunikation recht weit, reicht es doch von Journalismus und Literatur über Öffentlichkeitsarbeit bis hin zur Werbesprache. Es erstreckt sich von Recherche über Creative Writing bis hin zum Einsatz von Sprache in ganz verschiedenen Medien, Textsorten und Zusammenhängen.

In Deutschland wird Verbale Kommunikation unter anderem noch an der Universität der Künste in Berlin gelehrt. Dort allerdings mit einem verstärkt sprachwissenschaftlichen und kommunikationstheoretischen Ansatz. In Nürnberg aber interessieren wir uns vor allem für angewandte Forschung und neue Anwendungen.

Wie kam es dazu, einen Lehrstuhl für Verbale Kommunikation einzurichten?

Wie es dazu kam? Da müssten Sie vielleicht meine Kollegen fragen – oder die Leitung unserer Hochschule. Denn so etwas ist ja immer auch eine politische Entscheidung. Aber ich habe mir sagen lassen, dass es zunächst nur darum ging, etwas zeitgemäßer auszubilden. So wollte man weg von einer reinen Vorbereitung auf Werbung, wie sie vormals in einem Fach wie „Text und Konzept“ gegeben war. Außerdem interessierte man sich für die Medienbezüge von Sprache, etwa in Drehbuch, Podcast oder Games, aber auch ganz grundsätzlich für Text-Bild-Relationen, das Verhältnis von Sprache und Sinnen oder für die Interaktion zwischen Menschen und Maschinen.

Das deutet dann auch schon an, warum dergleichen etwas mit Design zu tun hat.

Und was hat „Verbale Kommunikation“ mit Design zu tun?

In Nürnberg pflegen wir einen recht weiten, aber damit auch einen – wie wir finden – recht realitätsnahen und zudem noch zukunftsträchtigen Design-Begriff. So werden an unserer Fakultät gleich elf gleichberechtigte Module unterrichtet, die alle miteinander zu tun haben und aufeinander Einfluss nehmen.

Nur kurz, um das zu erklären: Viele Grenzen in Design und Medien sind mittlerweile fließend geworden, etwa die zwischen Foto, Bewegtbild und 360-Grad-Video, zwischen Illustration, Concept Art, Animationsfilm und Games, sogar die zwischen Typografie und Virtual Reality. So ist heute auch niemand mehr ausschließlich Fotodesigner oder Filmer oder Illustrator … er wird immer auch gehalten sein, sich mit einer Vielzahl von Texten auseinanderzusetzen und selbst zu schreiben. Außerdem sind Autoren auch nichts anderes als „Sprach-Gestalter“.

Überdies gilt: Designer übernehmen immer komplexere Aufgaben, die weit hineinreichen in Politik und Gesellschaft, in die Unternehmensberatung, in die Gestaltung von Dienstleistungen. Designer lösen Probleme, ob in Design Thinking, Service oder Social Design. Und dafür bedürfen sie dringend der Sprache.

Und warum wir so vorgehen und für ein derart vernetztes Design plädieren? Weil wir glauben, dass jede Ausbildung im Grunde so etwas wie „angewandte Zukunftsforschung“ ist. Das heißt, man versucht, möglichst wach allerlei Entwicklungen wahrzunehmen, denen sich die Studierenden dann in fünf bis zehn Jahren in Arbeits- und Lebenswelt gegenübersehen. Genau darauf würde man sie gerne vorbereiten. Weniger auf die naive Vorstellung, die besagt, dass schon alles so bleiben wird, wie es mal war.

Professor für Verbale Kommunikation/ Multimediale Sprachgestaltung/Language in Media and Design an der Fakultät Design der Technischen Hochschule Georg Simon Ohm in Nürnberg

Prof. Dr. Max Ackermann © Oliver Kussinger

Sie haben den Lehrstuhl seit sieben Jahren inne. Welche Veränderungen konnten Sie in dieser Zeit beobachten?

Zu viele, um sie hier alle aufzählen zu können. Die Digitalisierung schreitet voran. Und eine Vielzahl neuer Berufe mit Medienbezug ist entstanden: Narrative Designer oder Games Writer zum Beispiel. Es gibt immer größere Lese- und Schreib-Gemeinschaften, und das auch außerhalb des klassischen Buchmarkts, das geht von der Self-Publishing-Szene bis zur Fan Fiction auf kostenlosen E-Book-Plattformen wie Wattpad.

Mit etwas Förderung wird es auch im deutschsprachigen Raum eine Games-Industrie geben, die, wenn man sie zur Gänze und international betrachtet, längst schon umsatzstärker ist, als es Hollywood je war. Auch cross- und transmediale Produktionen haben zugenommen. „Storytelling“ und „Worldbuilding“ spielen – schon als Denkmuster – eine immer größere Rolle. Und: Immer mehr Geräte sprechen mit uns.

Sie publizieren selbst und in Ihrer Vita finden wir auch das Lektorat als eine Ihrer Tätigkeiten.

Wenn ich heute mit Texten von Studierenden umgehe, lektoriere ich sie … Aber meine ersten Erfahrungen als Lektor liegen schon recht weit zurück. Das war einesteils in einem sehr kleinen Verlag, andernteils in meiner Arbeit für die ARD, insbesondere den Bayerischen Rundfunk, wo ich zuletzt Sendereihen und Buch-Publikationen betreut habe. Aber ursprünglich habe ich einmal damit angefangen, „unerwünscht eingesandte Manuskripte“ auf ihr Potenzial hin zu beurteilen. Genau das machen übrigens heute meine Studierenden, wenn sie zum Beispiel ein Praktikum bei einer Filmproduktionsfirma bekommen. Und die Praktikumsgeber sind dann sehr dankbar, wenn jemand ein Drehbuch lesen und einschätzen kann. Nicht selten führt das zu Folgeaufträgen und einer Übernahme nach dem Studium.

Ohne zu viel von der Diskussion im September vorwegzunehmen: Worin sehen Sie künftig für uns Lektorinnen und Lektoren die größten Herausforderungen?

Was die neuen Herausforderungen für Lektorinnen und Lektoren sein werden? Vielleicht vor allem anderen erst einmal zu benennen, was man denn als „Herausforderung“ ansehen und annehmen will … und letztlich auch kann.

Ich mag Panikmache nicht sonderlich. Und doch erleben wir derzeit so etwas wie eine Print-Krise, Zeitungen sterben, die Verlagsbranche verdichtet sich, gerade gehen dem Buchmarkt viele junge Leser verloren. Und es ist auch eine Krise der Rechtschreibung zu spüren. Beide Krisen haben mit einem grundlegenden Kommunikationswandel im Rahmen der Digitalisierung zu tun. Da brechen alte Normen weg. Also: Welchen Wert hat in Zukunft ein sorgfältig gemachtes Buch? Möglicherweise sinkt die Quantität ja zugunsten einer Qualität. Aber das ist im Augenblick noch Spekulation.

Anderseits entsteht, vielleicht, ein Bedarf an Lektorinnen und Lektoren in anderen Bereichen als den Verlagen. Braucht die Games-Branche denn kein Lektorat? Könnte man sich in Zukunft nicht auch das Lektorieren für YouTube-Videos vorstellen? Vielleicht schon, wenn deren Professionalisierung weiter voranschreitet. Oder Lektorinnen und Lektoren im Content Marketing? Bedarf das Texten für Virtual oder Augmented Reality nicht auch des guten Texts? Wenn sprachliche Interaktionen für digitale Assistenten wie Siri oder Alexa entwickelt werden, ist da kein Platz für sprach- und kontextsensible Menschen? Vielleicht weniger für den klassischen Lektor, sicher aber für jemanden, der mit den medialen Möglichkeiten und Notwendigkeiten von Sprache umzugehen versteht.

Fotos: Porträt Prof. Dr. Max Ackermann / (c) Oliver Kussinger,
Beitragsbild (c) geralt / Pixabay


Mehr Informationen zum Modul Verbale Kommunikation der Fakultät Design


Save the date: Die Lektorentage finden vom 21. bis 23. September in Nürnberg statt.

Weitere Informationen zu den Lektorentagen 2018 und zur Anmeldung


Zum Interview mit Nora Gomringer, Keynote-Speakerin und Gast der Podiumsdiskussion „Publizieren der Zukunft. Besser mit uns!“

 

3 Gedanken zu „„Vielleicht weniger für den klassischen Lektor …“

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