VFLL-Mitglied Martha Wilhelm

„Manchmal brauche ich Zeit in meinen eigenen Welten“

Es ist immer wieder spannend zu erfahren, was VFLL-Mitglieder so alles auf die Beine stellen und wie vielseitig sie unterwegs sind. Martha Wilhelm aus Hamburg ist nicht nur Lektorin, sondern auch Autorin und Fantasy-Liebhaberin.

Wie war dein beruflicher Werdegang?

Ich habe in Hamburg Germanistik und Slavistik studiert, bin dann für ein Lektoratsvolontariat nach Berlin gegangen, wollte aber lieber wieder zurück an die Alster. Hier habe ich mich dann im Mai 2013 als freie Lektorin und Korrektorin selbstständig gemacht.

Wann und weshalb hast du dich entschieden, als freie Lektorin zu arbeiten?

Ich hatte zuerst gar nicht vor, mich selbstständig zu machen, weil es mir zu unsicher erschien. Aber nach meiner Rückkehr nach Hamburg habe ich nebenbei einige Aufträge für meinen vorherigen Arbeitgeber erledigt und gemerkt, dass ich sehr gut arbeiten kann, wenn ich selbst über meine Arbeitszeiten und andere Rahmenbedingungen bestimmen kann. Und ich wollte im grünen Süden Hamburgs wohnen, ohne mindestens eine Stunde Anfahrt zur Arbeit in Kauf zu nehmen. Deswegen habe ich mich entschieden, die Vollzeit-Selbstständigkeit zu wagen. Inzwischen könnte ich mir eine feste Anstellung gar nicht mehr vorstellen. Ich weiß es sehr zu schätzen, wie unterschiedlich die Texte sind, die ich inzwischen auf den Tisch bekomme – vom Kinderbuch über den Geschäftsbericht bis hin zum populären Sachbuch. Diese Vielseitigkeit brauche ich.

Du bist bei den BücherFrauen – dem Netzwerk für Frauen rund ums Buch – und auch beim VFLL Mitglied. Wie kam es zu deinen Beitritten? Seit wann bist du bei den BücherFrauen und was reizte dich an diesem Netzwerk? Hattest oder hast du dort ein Amt inne?

Bei den BücherFrauen bin ich Mitglied seit 2013, ich bin bei meiner Rückkehr nach Hamburg eingetreten. Für den Aufbau einer Selbstständigkeit sind berufliche Netzwerke unabdingbar und die BücherFrauen haben mir viele Türen geöffnet. Auch finde ich den offenen und unkomplizierten Austausch über Arbeitsbedingungen, Finanzen etc. sehr wichtig, besonders für Frauen, die ja häufig dazu tendieren, sich unter Wert zu verkaufen. Ich war zwei Jahre lang Regionalsprecherin der Hamburger BücherFrauen, habe im überregionalen Blog mitgearbeitet und bin aktuell Teil des Organisationsteams fürs Hamburger Mentoring-Programm. Mentoring finde ich generell so eine tolle Sache, wir bräuchten mehr solche Angebote in der Branche.

Und beim VFLL? Was war und ist hier das Reizvolle?

Dem VFLL bin ich 2018 beigetreten, habe aber schon vorher an Fortbildungen teilgenommen, die der Verband angeboten hat. Mich überzeugen beim VFLL die vielen berufsspezifischen Services wie die Rechtsberatung und das Verzeichnis für Lektor*innen, aber vor allem der Austausch über die Mailingliste und auf Veranstaltungen. So bleibe ich immer up to date bei Themen, die meinen Beruf betreffen. Als besonders wertvoll und herzlich empfinde ich auch das VFLL-Netzwerk Kinder- und Jugendbuch, dem ich angehöre.

Hast du dich als Lektorin auf bestimmte Genres spezialisiert?

Ich liebe Abwechslung, daher habe ich mehrere Standbeine. Ich arbeite viel im Kinder- und Jugendbuchbereich, mein Herz schlägt aber für Fantasy. Im Sachbuchbereich beschäftige ich mich mit Geschichte und Kultur. In den letzten Jahren habe ich außerdem verstärkt Werbekunden angenommen.

Du bist neben deiner Tätigkeit als Lektorin und Korrektorin auch Autorin und hast mehrere Bücher auf die Welt gebracht. Wie kam es zu ihnen? Wie bist du auf die Ideen gekommen und wie gestalteten sich der Schreibprozess und dann die Verlagsfindung?

Ein Roman von Ria Winter alias Martha Wilhelm: Der Feuervogel von Istradar (Coverbild)

Ich habe unter meinem richtigen Namen zwei populäre Sachbücher veröffentlicht (eins mit einer Koautorin). Dabei hat mich ein Verlag angefragt, mit dem ich vorher bereits erfolgreich als Lektorin zusammengearbeitet hatte. Das Buchkonzept stand in beiden Fällen vorher größtenteils fest, bei der Textgestaltung hatte ich aber freie Hand. Das Schreiben lief ein bisschen ab wie früher im Studium – ich war oft zur Recherche in Bibliotheken und habe mich tagelang hinter Bücherstapeln vergraben.

Unter dem Pseudonym Ria Winter habe ich außerdem seit 2019 zwei Fantasy-Romane veröffentlicht, einen bei einem Verlag, einen im Selfpublishing. Das war ein lang gehegter Traum von mir, weil ich schon seit Schulzeiten schreibe. Wenn man im Beruf mit Büchern zu tun hat, ist man vielleicht umso kritischer bei den eigenen, deswegen habe ich lange gezögert, meine Romane zu veröffentlichen. Aber seit ich mich in verschiedenen Schreibcommunitys bewege und auch auf Social Media mit anderen Autor*innen, Leser*innen und Blogger*innen zu tun habe, habe ich diese Welt sehr ins Herz geschlossen und möchte sie nicht mehr missen.

„Tal der Toten” – Ein weiterer Roman von Ria Winter alias Martha Wilhelm

Kannst du sagen, welche Tätigkeit deine liebste ist? Lektorin, Korrektorin oder Autorin oder liebst du einfach die Abwechslung?

Ich brauche diese Mischung. Manchmal finde ich es sehr entspannend, die Geschichten im eigenen Kopf stumm zu stellen und mich ganz auf fremde Werke einzulassen. Manchmal brauche ich dringend Zeit in meinen eigenen Welten. Und manchmal will ich einfach nur falsche Kommas tilgen.

Was begeistert dich?

Bücher, die originelle Welten mit diversen Figuren verbinden. Das Meer. Gespräche mit Autor*innen und Kolleg*innen, die voller Leidenschaft sind. Tiere. Schreiben. Engagierte Menschen.

Interview: Sibylle Schütz
Beitragsfoto (groß): Martha Wilhelm (privat)


Weitere Veröffentlichungen

Wilhelm, Martha: Berlinerinnen. 20 Frauen, die die Stadt bewegten. Elsengold 2013. [ISBN 978-3-944594-01-9; vergriffen]

Mayer, Andrea; Wilhelm, Martha: Das deutsche Wirtschaftswunder. Deutsch-deutsche Nachkriegsgeschichte im Lichte ihrer Briefmarken. Elsengold 2018. [ISBN 978-3-944594-97-2; vergriffen]


Martha Wilhelms Website und Profil im VFLL-Verzeichnis


Weitere Blogbeiträge aus dieser Reihe:
„Ohne Übung wird das nichts“ (2020)
Durchwursteln war gestern (2020)
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Ein Gedanke zu „„Manchmal brauche ich Zeit in meinen eigenen Welten“

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