Alle Jahre wieder – und das gleich zwei Mal – kommt der Workshop Textarbeit, den ich für „meine“ Regionalgruppe Köln/Bonn leite. Die Erfahrung zeigt: Wer sein Wissen teilt, lernt viel dazu.
Von Dr. Hildegard Mannheims
Eine Situation, wie ich sie oft erlebt habe: Seminar zu irgendeinem Thema. Der Dozent erklärt lang und breit an ziemlich abgedrehten Beispielen, wie man etwas nicht machen soll, und ich denke insgeheim: „Na, also so blöd hätte ich mich auch nicht angestellt.“ Irgendjemand fragt irgendwann: „Aber wie soll man es denn machen?“ Dozent: „Also das kommt natürlich ganz auf die Situation an!“ Der Fragende bohrt nach: „Also beispielsweise hatte ich mal …“ und setzt zur Beschreibung solch einer Situation an. Der Dozent unterbricht früher oder später: „Ach wissen Sie, das führt jetzt zu weit, das können wir nicht im Detail klären.“ Vielleicht vertröstet er den Fragenden auf „heute nach dem Seminar“ oder drückt ihm seinen Flyer für (kostenpflichtiges) Einzelcoaching in die Hand. Aber meist fährt er mit seinem Konzept und der nächsten Erklärung fort, was man nicht machen soll. Unbefriedigend! (Und natürlich ein bisschen übertrieben. Aber Übertreibung macht anschaulich.)
Ich habe mich oft gefragt, was der Grund ist. Liegt es daran, dass Dozentinnen und Dozenten von Beruf oft eben Dozentinnen und Dozenten sind und ihr Thema nur aus früherer Berufstätigkeit oder sogar nur aus der Theorie kennen? Fällt es mir nicht auch leicht, das auszudrücken, was ich nicht will, aber schwer, eine gute Lösung oder Herangehensweise zu finden? Ist es einfach einfacher, ein Passepartout anzubieten, also sozusagen einen Dietrich statt eines Spezialschlüssels? „Aus der Praxis für die Praxis“ klingt – nicht nur bei Ärzten – immer so vielversprechend, aber ehrlich gesagt: Meine Praxis kommt in vielen Seminaren gar nicht vor. Verspreche ich mir also viel zu viel? Bin ich etwa nach langjähriger Berufstätigkeit inzwischen selbst Spezialistin in vielen Fällen?
Selbst ist die Fachfrau
Vor Kurzem saß ich mit Kolleginnen zusammen, die entsetzt feststellen mussten, dass sie einem Seminarleiter das Wasser reichen konnten, ja sogar überlegen waren. Also noch einmal eine Bestätigung meines Gedankens: Sitzen Fachmann und Fachfrau für viele meiner Belange etwa neben mir im Plenum? Ist es dann nicht sinnvoll, mich gleich mit ihnen zusammenzusetzen? Ja, lautet die Antwort ganz schlicht, und in der Regionalgruppe Köln/Bonn praktizieren wir das auch seit Jahren unter dem Namen „kollegiales Coaching“. Den Ausdruck habe ich übrigens vor längerer Zeit bei der Schwesterregionalgruppe Rhein/ Ruhr gefunden. Ehre, wem Ehre gebührt!
Kollegiales Coaching – das Wort erklärt sich eigentlich von selbst. Angefangen hat es bei uns in Köln/Bonn mit einem „Workshop Textarbeit“ 2006, mit zitternden Knien und mit einer Art Beschwörungsformel: „Man kann’s ja mal versuchen. Schlimmstenfalls wird’s total doof. Aber man kann’s ja mal versuchen.“ Inzwischen haben wir den „Workshop Textarbeit XI“ hinter uns. Wir haben auch die Scheu verloren, selbst ausgesprochen heikle Themen anzugehen: Die Nachfolgemodelle „Workshop Akquise“ und „Workshop Honorare“ sprechen wohl für sich.
Wie so ein kollegiales Coaching aussieht? Ein möglichst einfaches Modell und daher gut zur Nachahmung geeignet: einladen, Raum mieten, bisschen vorbereiten, treffen, kurz ins Thema einführen, in kleinen Gruppen diskutieren, am Schluss im Plenum berichten und gleich den nächsten Workshop planen. Wer jetzt denkt: „Haha – das meint sie nicht ernst, oder?!“, dem kann ich entgegnen: „Doch, mehr ist es eigentlich nicht!“ Aber was heißt „bisschen vorbereiten“? Beim „Workshop Textarbeit“ und beim „Workshop Honorare“ sind es beispielsweise Textauszüge aus real existierenden Projekten, die von den Teilnehmenden zur Verfügung gestellt und mit entsprechendem Briefing vorab verschickt werden. Diskretion absolute Ehrensache! Beim „Workshop Akquise“ haben die Teilnehmenden ebenfalls konkrete Fälle (mit Unterlagen) mitgebracht und diskutiert.
Dieses kollegiale Coaching ist inzwischen alles andere als „vor allem für BerufsanfängerInnen und KandidatInnen des VFLL“, wie ich 2006 in unserem Jahresprogramm schrieb. Im Gegenteil: Es kommen viele sehr erfahrene Kolleginnen und Kollegen – und zwar erstaunlicherweise immer wieder gern, Jahr für Jahr. Anfang 2012 hat eine Kollegin auf diese Erfahrung hin erstmals ein kollegiales Coaching „nur für erfahrene Kolleginnen und Kollegen“ angeboten – sehr erfolgreich. Dabei ging es um das Thema „Wie erfinde ich mich (beruflich) neu?“. Auch hier ist an eine Fortsetzung gedacht.
Miteinander statt in Konkurrenz zueinander
Fazit: Unsere bisherigen Veranstaltungen im Rahmen kollegialen Coachings belegen, dass wir vor Ort und im direkten Gespräch miteinander über ein ungeheures Wissenspotenzial verfügen, das uns allen zugute kommt, wenn wir Know-how, Ideen, Erfahrungen miteinander teilen. Und das ist zugleich die einzige Hürde. „Ha, jetzt kommt also doch der Pferdefuß!“ Ja, und zwar die Bereitschaft, ganz konkret über Aufträge, Herangehensweisen, Zahlen und Fakten zu sprechen und sich nicht als Konkurrenz, sondern als Mitbewerber zu verstehen, die das größte Interesse daran haben, an der eigenen Qualifikation und damit letztlich an der Qualifikation unseres ganzen Verbandes zu arbeiten. Diese Bereitschaft bringt unter dem Strich für jede und jeden von uns mehr, als das eigene Wissen und die Erfahrungen misstrauisch zu hüten wie Smaug seinen Schatz.
Kollegiales Coaching ist – und das werden viele Teilnehmende bestätigen – nicht nur erfolgreich, sondern tut gut. Natürlich kommt dabei auch immer wieder zur Sprache, wie man es nicht machen sollte. Hat sich nicht jeder schon einmal verkalkuliert bei der Beurteilung der Textqualität, bei der veranschlagten Zeit und entsprechend beim Honorar? Und dann geht es natürlich weiter mit der Frage: „Aber wie soll man es dann machen?“ Wenn dann einer sagt: „Also beispielsweise hatte ich mal …“, dann unterbricht oder vertröstet ihn niemand. Im Gegenteil: Dann geht es erst richtig zur Sache!
Bild: Die RG Köln/Bonn bei der (Text-)Arbeit. © Inga Beißwänger
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