Der Lesesessel hat ausgedient

In Berlin gab es im Mai einen VFLL-Themenabend mit dem Herausgeber von „Langendorfs Dienst“, Matthias Koeffler, zum Thema „Frustrierend oder ermutigend? Wie entwickelt sich der Buchmarkt?“. Emma Sommerfeld, Sprecherin der Berliner Regionalgruppe, hat den Abend für den VFLL-Blog zusammengefasst.

Von Emma Sommerfeld

Bücher stehen zwar in diesem oder jenem Wohnzimmer noch im Regal, aber nicht mehr besonders hoch im Kurs. Ein Blick auf das Freizeitverhalten im eigenen Umfeld genügt meistens für eine Mini-Feldstudie: Da gibt es Filme, Serien, Podcasts, Online-Spiele – die Möglichkeiten, sich Geschichten erzählen zu lassen und anrührende oder abenteuerliche Dinge zu erleben, ohne auch nur einen Fuß vor die Tür zu setzen, sind nahezu unendlich. Und Informationen sind sowieso überall jederzeit verfügbar.

Wer braucht da schon noch einen Roman oder ein Sachbuch? Und wo ist da Platz für Lektorinnen und Lektoren?

In der Regionalgruppe Berlin wollten wir es genauer wissen. Ist das mulmige Gefühl in Bezug auf Druckerzeugnisse berechtigt oder besteht noch Hoffnung für uns, die wir meistens ja nicht nur gern lesen und schreiben, sondern davon auch noch leben wollen?

Deshalb haben wir dazu einen Themenabend organisiert und einen Referenten vom Fach eingeladen. Matthias Koeffler hat ursprünglich Theologie studiert, wurde dann Buchhändler, Journalist und Autor von Reisebüchern und ist inzwischen auch noch Herausgeber von „Langendorfs Dienst“, dem Newsletter für den Buchhandel. Darin gibt er werktäglich einen umfassenden Überblick zu Konjunkturdaten und -einschätzungen, ein Stimmungsbarometer, allgemeine Informationen aus dem Online-Handel und zum übrigen Einzelhandel und auch einen Blick ins Ausland – genau das also, was wir ohne Weiteres nicht zu sehen bekommen, was aber für viele von uns durchaus für die berufliche Zukunft relevant ist.

Wie geht es dem guten alten Buch?

Da ist zunächst mal der klassische Buchladen als Umschlagplatz. Matthias Koeffler hat uns mit Fotos verschiedener Buchhandlungen sehr schön dokumentiert, wie sehr sich schon die Präsentation im Geschäft verändert hat. War man vor einigen Jahren noch bemüht, möglichst viele Bücher zum Stöbern in den Regalen bereitzuhalten, stehen die Bücher heute oft nicht mehr mit dem Rücken zur Ansicht, so wie vermutlich bei uns allen zu Hause, sondern mit dem Cover nach vorn: Mehr Präsentation von einigen Titeln, weniger Verschiedenheit. Mich hat das an Buchläden in den USA erinnert, wo es oft nur wenige Titel zu kaufen gibt, nämlich die aktuellen Bestseller, in zahllosen Exemplaren, wo es aber nicht ums Stöbern und Neuentdecken geht. Gibt es auch da eine Globalisierung?

Aus dieser verbreiteten Art der Präsentation ergibt sich fast automatisch die Frage: Wie weckt man denn heute Aufmerksamkeit für neue Bücher? Früher, so lernten wir am Themenabend, hatte ein gut sortiertes Buchgeschäft mehrere 10.000 Titel direkt vor Ort und greifbar, heute dagegen sind rund 10.000 Titel schon viel. Das Angebot konzentriert sich also auf eine Auswahl, zusammengesetzt mutmaßlich aus populären Genres, Bestsellern und vielleicht noch regional unterschiedlichen Themen. Ein beschränktes Angebot also.

Der stationäre Buchhandel als Flaschenhals

Obwohl es immer weniger Leserinnen und Leser gibt, werden immer mehr Bücher veröffentlicht, allein das Selfpublishing – dem der stationäre Buchhandel allerdings noch zögerlich gegenübersteht – ermöglicht praktisch allen Menschen, jederzeit zu veröffentlichen, unabhängig von einem Filter wie Verlag oder Agentur ihn bilden. Bücher gibt es also nach wie vor en masse. Durch das veränderte Angebot allerdings wird der Buchhandel zum Flaschenhals für den Buchmarkt: Was hier zu sehen ist, ist eben nur eine winzige Auswahl dessen, was es tatsächlich gibt. So verändert sich die Rolle: War der Buchladen um die Ecke mit seiner Auslage bisher der klassische Ort für Buchwerbung schlechthin, wandert das Marketing längst ab und findet online statt. Dort allerdings hat das Buch mit der Flüchtigkeit der Wahrnehmung zu kämpfen. Der Buchladen verändert dafür sein Gesicht auch noch an anderer Stelle.

Dem schwindenden Interesse am klassischen Lesestoff versucht man nach wie vor, mit neuen Konzepten entgegenzuwirken:

Der Buchladen

  • als Event-Ort und Stätte der Begegnung.
  • als Teil eines möglicherweise neuen Innenstadtkonzepts, bei dem es auch nicht mehr um das Einkaufen geht, sondern um das Erleben.
Grafik: Buchkäufer in Mio

(c) Matthias Koeffler

Wo geht der Buchmarkt hin?

Schwer zu sagen. Der Buchmarkt ist, so mein Eindruck auch nach dem Themenabend, nicht wirklich überschaubar. Vollständige Daten sind kaum zu bekommen. Laut Matthias Koeffler gibt es wenig Information darüber, wie viele Bücher Amazon tatsächlich verkauft, auch der Verkauf von E-Books ist schwer messbar, und völlig in die Grauzone gerät die Statistik beim Selfpublishing. Ganz klar ist: Der Buchmarkt kämpft mit einem großen Problem durch die wachsende Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage. Und was die Lage zusätzlich erschwert, das sind die höheren Produktionskosten und die Inflation. Die Buchpreise werden nicht schnell genug angepasst, können aber andererseits auch nicht beliebig erhöht werden, ohne dass das Kartellamt einschreitet. In Zahlen sieht das so aus:

Grafik: Preisentwicklungen im Vergleich

(c) Matthias Koeffler

Wohin es gehen könnte, zeigen Beobachtungen aus dem Selfpublishing: Der Wettbewerb wird stärker. Während die Gesamtzahl der Autor*innen und veröffentlichten Titel steigt, konzentriert sich die Aufmerksamkeit auf einige wenige. Matthias Koeffler bezieht sich dabei auf die Zahlen von Matthias Matting, danach konzentriert sich ein zunehmend fester werdender Stamm an Leserinnen und Lesern auf eine bekannte Gruppe von Autor*innen. Diese Entwicklung könnte sich auch auf den Buchmarkt als Ganzes übertragen lassen: Es wird zunehmend schwerer für unbekannte Autor*innen, sich einen Platz zu erobern auf einem Markt, der immer mehr von wenigen beherrscht wird.

Wo ist da der Platz fürs Lektorat?

Dass der Markt nicht größer wird, ahnten wir, die Zahlen haben uns das bestätigt. Aber so lange es Bücher gibt, wird es hoffentlich auch genügend Aufgaben für Lektoren und Lektorinnen geben. Der Referent sieht die Perspektive fürs Lektorat vor allem dann, wenn wir mit unseren Autoren und Autorinnen noch stärker zielgruppenorientiert arbeiten und darauf bauen, dass Qualität sich immer durchsetzen wird.

Diese Voraussetzung zumindest können wir schaffen, alles Weitere muss sich zeigen.

Grafiken: (c) Matthias Koeffler/Langendorfs Dienst
Beitragsbild: (c) Lubos Houska / pixabay


Der Newsletter „Langendorfs Dienst“ kann nicht nur vom Buchhandel abonniert werden. Wer Interesse hat, sich regelmäßig einen Überblick über die Situation auf dem Buchmarkt zu verschaffen, wird hier fündig: www.langendorfs-dienst.de
Der Probemonat ist kostenlos.


Emma Sommerfeld ist Sprecherin der Berliner VFLL-Regionalgruppe und Autorin des Beitrags

Emma Sommerfelds Website und Profil im VFLL-Verzeichnis


Mehr Infos zur Regionalgruppe Berlin auf der VFLL-Website


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Ein Gedanke zu „Der Lesesessel hat ausgedient

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