Symbolbild Afrofuturismus

Afrofuturismus und BIPoC-Horrorliteratur

Die Regionalgruppe Niedersachsen hatte im Oktober Sarah Miriam Lutzemann, Inhaberin der Buchhandlung Kohsie in Halle/Saale, zu einem Online-Themenabend als Referentin zu Gast, um aus dem Spektrum der Literatur abseits der eurozentrischen Norm über die Genres Afrofuturismus/Africanfuturism und BIPoC-Horrorliteratur zu diskutieren. VFLL-Mitglied Len Klapdor fasst den Abend für den Blog zusammen.

Von Len Klapdor

Was wäre, wenn der afrikanische Kontinent nicht durch den Westen ausgebeutet worden wäre? Was würde passieren, wenn Schwarze(1) Menschen plötzlich magische Fähigkeiten bekämen, die ihnen eine Vormachtstellung verschaffen? Wie passen Zombies in den amerikanischen Bürgerkrieg? Was verändert sich am Kleinstadthorror, wenn er aus der Perspektive eines Schwarzen Teenagers erzählt wird? Und wie funktioniert ein organisches Raumschiff?

Die Referentin des Themenabends zu Afrofuturismus und BIPoC-Horrorliteratur: Sarah Miriam Lutzemann, Inhaberin der Buchhandlung Kohsie in Halle/Saale; Foto: privat.

Diese und viele andere Fragen spielen in den Genres Afrofuturismus/Africanfuturism und BIPoC-Horror eine Rolle, wie wir im Vortrag von Sarah Miriam Lutzemann für die Regionalgruppe Niedersachsen erfahren durften. [BIPoC steht als Abkürzung für Black, Indigenous and People of Color, deutsch: Schwarze, Indigene und nicht weiße Menschen; Anm. der Red.] Lutzemann betreibt die BIPoC-zentrierte Buchhandlung Kohsie in Halle und verschaffte den Teilnehmerinnen einen guten Überblick über Sujets und Fragen, die in diesen beiden Genres eine Rolle spielen. Ja, Teilnehmerinnen, denn wie auch in der Runde angemerkt wurde: Alle Anwesenden waren ausnahmslos weiblich und weiß. Woran liegt das?

„Schwarze Menschen sind im Literaturbetrieb generell immer noch unterrepräsentiert“, lautete eine Erklärung, die Lutzemann auf der Basis ihrer Erfahrung geben konnte. Warum an diesem Tag kein einziger männlicher Lektor den Weg zu diesem Vortrag gefunden hat, darüber konnten wir allerdings doch nur spekulieren. Was uns aber viel mehr interessiert hat, war die Frage, was wir tun können, um das vielleicht zu ändern?

Die Buchhändlerin empfahl vor allem eins: Sichtbarkeit erhöhen. „Schreibt auf euren Blogs über Schwarze Literatur und Schwarze Genres wie Afrofuturismus.“ Darüber hinaus ist es sinnvoll, Verlage oder eben auch Buchhändlerinnen wie Lutzemann zu unterstützen, um Verlegerinnen und Verlegern zu zeigen, dass wir mehr in diesen Genres lesen wollen. Aber was genau ist Afrofuturismus bzw. BIPoC-Horror? Und für welche Leser*innen sind diese Genres interessant?

Afrofuturismus und Africanfuturism

Afrofuturismus gehört nominell zum Genre der Fantastik („Science Fiction & Fantasy“ im englischsprachigen Kontext) und kommt in allen Sparten der Kultur vor. Das Genre zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass hier Schwarze Autor*innen für Schwarze Menschen über zukünftige und/oder fantastische Welten schreiben. Dabei werden bekannte traditionelle Science-Fiction- und Fantasy-Elemente mit afrikanischer Mythologie und (afroamerikanischer) Kultur kombiniert. Bekannte Autorinnen in diesem Genre sind zum Beispiel Octavia E. Butler und N. K. Jemisin. Der Begriff Africanfuturism funktioniert als kritische Ergänzung, die hervorhebt, dass das Schreiben afroamerikanischer  Autor*innen aus der Diaspora heraus auf afrikanische Kultur blickt und dabei durchzogen ist von Aspekten der weißen Mehrheitskultur, in der die Autor*innen aufgewachsen sind. Africanfuturism meint also Literatur von afrikanischen Schwarzen Autor*innen. Nnedi Okorafor, die den Begriff u. a. geprägt hat, und Wole Talabi sind bekannte Vertreterinnen dieses Genres. In Butlers Dawn wird über den Erstkontakt mit Außerirdischen eine Parabel auf Kolonialismus erzählt, Jemisins Trilogie Zerrissene Erde begleitet eine wegen ihrer magischen Fähigkeiten ausgegrenzte Frau, die in politische Intrigen verwickelt wird. Okorafors Who Fears Death folgt dem Leben der magiebegabten Onyesonwu, die sich in einem postapokalyptischen Afrika gegen ihren tyrannischen Vater wendet, Wole Talabi hat unter anderem die Kurzgeschichtensammlung Africanfuturisms herausgebracht. Weitere Empfehlungen von Büchern aus diesem Genre gibt es auf dieser Liste, die Lutzemann freundlicherweise zusammengestellt hat.

Rassismus als Horror

Während im weiß dominierten Horror Schwarze Menschen im besten Fall (frühe) Opfer und im schlimmsten Fall der Horror selbst sind, ist im BIPoC-Horror häufig Rassismus die Quelle des Übels, das die Schwarzen Protagonist*innen befällt. Neben dem wohl bekanntesten Beispiel, Jordan Peeles Film Get Out, gibt es inzwischen zahlreiche Geschichten, die bekannte Sprachbilder und Settings des Horrorgenres weiterentwickeln, indem sie aus dezidiert Schwarzer Perspektive erzählen. Auf diese Weise arbeiten sie eine ganze Reihe furchteinflößender Aspekte heraus, die die Lebensrealität vieler People of Color aufgreifen und darstellen. So verarbeitet Tiffany D. Jacksons White Smoke den schon oft behandelten Horror, von der Großstadt in den Mittleren Westen zu ziehen, aber eben aus der Perspektive eines Schwarzen Teenagers, für den die Worte ‚Mittlerer Westen‘ noch einmal andere Implikationen enthalten. Dread Nation vermischt den amerikanischen Bürgerkrieg mit der Zombieapokalypse, in Mexican Gothic vermischt sich Spukhaus-Horror mit Amateurdetektivin. Auch für BIPoC-Horror hat Lutzemann dankenswerterweise eine Empfehlungsliste zusammengestellt.

(1) In diesem Beitrag werden Schwarz und weiß groß bzw. kursiv geschrieben, um zu markieren, dass es sich bei diesen Bezeichnungen nicht um tatsächliche (Haut-)Farben handelt, sondern um Konstrukte einer rassistisch geprägten Kultur. Siehe Natasha A. Kelly (Hg.): Schwarzer Feminismus. Grundlagentexte. Unrast Verlag 2019.

Len Klapdor, VFLL-Mitglied und Autorin des Beitrags, Foto: privat.

Text: Len Klapdor
Beitragsbild: (c) Okan Caliskan/pixabay


Weiterführende Links:
Buchempfehlungen zu Afrofuturismus
Buchempfehlungen zu BIPoC-Horror 
Interview mit Sarah Miriam Lutzemann (2022)


Len Klapdors Website und Profil im VFLL-Verzeichnis


Mehr Infos zur Regionalgruppe Niedersachsen auf der VFLL-Website


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