Autorin und Bachmann-Preisträgerin Nava Ebrahimi

Das existenzielle Thema der Literaturförderung nach der Pandemie

Anfang September fand in Berlin die Tagung „Literafutur“ zum Thema Literaturförderung der Zukunft statt. Dazu eingeladen hatte die Arbeitsgemeinschaft Literarischer Gesellschaften und Gedenkstätten e.V., kurz ALG. VFLL-Mitglied Dr. Nicola Tams hat die Veranstaltung besucht und die Diskussion für den Blog zusammengefasst. Eine verblüffende Idee für die Sichtbarkeit der Lektoratstätigkeit ist obendrein noch mit entstanden.

Von Dr. Nicola Tams

Was ist ein existenzielles Thema? Ein Thema, das an die eigene Existenz rührt, das sie aufrüttelt oder hinterfragt, das das Leben als solches ins Wanken bringt. Wie die Autorin und Bachmann-Preisträgerin Nava Ebrahimi auf der LiteraFutur gleich in der Eröffnungsrede deutlich macht, rührt Literatur für die Beteiligten oft an ein existenzielles Thema. Mit ihren Eltern war sie aus dem Iran nach Deutschland geflüchtet. Die Eltern hatten dort gute Positionen inne und waren hier unfreiwillig selbstständig, und, so wie ich sie in ihrem Vortrag verstanden habe, eher mittelmäßig glücklich. Die Autorin ist also selbstständig in zweiter Generation und scheint damit verhältnismäßig erfolgreich. Sie ernährt ihre Familie inklusive zweier Kinder mit der Literatur.

Selbstverständlich kam das nicht von allein. Zu lange habe sie auf der Suche nach schönen Wohnungen und sicheren Stellen das literarische Debüt hinausgezögert. Inzwischen lebe sie nicht das Leben auf großem Fuße, aber es mache sie glücklich, ein großes Umfeld zu haben, mit vielen anderen schreibenden Frauen, deren Selbstverständnis ähnlich sei, und in welchem sie sich gegenseitig unterstützen.

Aus Angst vor dem Wagnis in die Literatur kann der einen oder anderen dieser Weg durch Förderungen zu weit sein. Ohne Förderung wäre wohl fast niemand für einen solchen Sprung ins Ungewisse bereit. Im Vergleich zu anderen Ländern – als Ausnahmen werden aus der Runde die Schweiz oder Schweden genannt – stehe Deutschland sehr gut da, mit den Hindernissen der Verwaltung, die Autor*innen gut kennen müssten, wenn sie eine Förderung erhalten wollten. Ohne diesen Verwaltungsaufwand gehe es nicht, gäbe es keine Förderung.

Auch Ebrahimi berichtet von der Schwierigkeit, Exposés einzureichen, wenn die schriftstellerische Arbeit noch halb gar sei und wie seltsam sie sich dabei vorgekommen wäre. Was also sind wichtige Kriterien jenseits der Originalität und der Schöpferhöhe, um es überspitzt zu formulieren, aus denen Schriftsteller*innen heraus gefördert werden können?

Hier gibt es noch Spielraum, vor allem bezüglich der Altersvorsorge. Auf die von den Vortragenden aufgeworfene Frage nach einer Literaturförderung in Momenten der Bedürftigkeit antwortet in Deutschland der VG-Wort-Sozialfonds.

Die Pandemie habe im Literaturbetrieb zum Beispiel mit „Neustart Kultur“ digitale Möglichkeiten geschaffen, die jetzt mitunter ausblieben. Wie kann diese Literaturförderung verstetigt werden? Lara Sielmann, die Moderatorin, Bernd Busch vom Literaturfonds, Nava Ebrahimi, Anne Sauer, hier als Litfluencerin und Thorsten Dönges vom LCB diskutierten die Frage, wie mit der unter Umständen auslaufenden pandemiebedingten zusätzlichen Förderung im Literaturbereich umzugehen sei. Vielfach wurden nämlich in diesen schwierigen Zeiten die Förderungen deutlich aufgestockt: So wurden zum Beispiel hochdotierte Übersetzungslehraufträge und -förderungen vergeben. Daran könnte sich aus meiner Sicht auch für die Lektoratstätigkeit orientiert werden: Warum nicht Lehraufträge an Lektor*innen vergeben, um die Kunst weiterzugeben? Warum nicht mehr Vorträge von Lektor*innen an Schulen und Universitäten halten?

Unsere Augen richten sich auf günstige und flexible Ausweichmöglichkeiten aus den oft kleinen Wohnungen von Schriftsteller*innen und Alternativen unbürokratischer Art, etwa als Ferienimmobilien für Künstler*innen. Ich erinnere mich daran, so etwas zu Anfang der Pandemie gesehen zu haben. Manche ungenutzten Büros wurden da selbstverständlich zu spontanen Ateliers und Pop-up-Gelegenheiten.

Es gäbe, wie ein Mensch aus dem Publikum überzeugend vermittelt, gerade für die Literatur hinreichend Gelder, vor allem in Bibliotheken. Man müsse nur wissen, wie sie zu beantragen seien. Gute Nachrichten auch aus Mecklenburg-Vorpommern: Eine rasche Online-Recherche bringt dort ungeahnte Fördermöglichkeiten zutage. Anne Sauer von fuxbooks erinnert an Mut bei Förderung und Honoraren. Mareice Kaiser hat es einmal so formuliert: „Wenn du dich nicht schämst, ist es zu wenig.“

Dem Vorwurf der Schwerfälligkeit des deutschen Literaturbetriebs, der in der Diskussion aufkam, ließe sich nur begegnen, wenn zumindest ein wenig Bürokratie abgebaut und schnelle, flexible Fördermöglichkeiten an einer verlässlichen Stelle gebündelt würden, wie es beispielsweise die Schriftsteller*innen im „Netzwerk freie Literaturszene Berlin“ (NFLB) versuchen. Trotzdem bleibt der Nachteil an Förderungen: Sie sind unkalkulierbar. Und oft stehen sie nicht in Zusammenhang mit einer Altersvorsorge. Diese Verantwortung bleibt dann wieder beim Individuum. Vielleicht können ja die Erfolge, die in Corona-Zeiten durchgesetzt wurden, tatsächlich zu verstetigten Möglichkeiten ausgebaut werden.

VFLL-Mitglied und Autorin des Beitrags, Dr. Nicola Tams, Foto: Susanne Duppen

Text: Dr. Nicola Tams
Beitragsfoto: Nava Ebrahimi, (c) Dong-Ha Choe
Porträt: Dr. Nicola Tams, (c) Susanne Duppen


Infos zur LiteraFutur in Berlin


Dr. Nicola Tams‘ Website und Profil im VFLL-Lektoratsverzeichnis


Weiterer Blogbeitrag zum Thema Förderung und Finanzierung von Literaturprojekten:

Kreative Partnerschaft mit Sommerflair (2019)

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