Von Süddeutschland ins ferne Shenyang: Tanja Wirnitzer, freiberufliche Lektorin und VFLL-Mitglied aus Bayern, hat den Schritt gewagt und lebt mit ihrer Familie seit drei Jahren in China. Wie organisiert man ein Leben zwischen zwei Kontinenten, wenn der berufliche Alltag von Texten und Manuskripten bestimmt wird? Im Gespräch verrät sie, wie sie sich auf die Zeitverschiebung einstellt, was hinter ihrer Lektoratsmethode „Schreibdreiklang“ steckt und warum Bücher für sie mehr sind als nur Arbeitsmaterial – sie sind eine Herzensangelegenheit.
Du lebst seit drei Jahren in China. Wie kam es dazu, dass du mitten in der Coronazeit deine Koffer gepackt hast?
Wir waren mit unserer Planung früher dran als Corona. Für einen längerfristigen Expataufenthalt mit der ganzen Familie war einiges zu organisieren und zum Zeitpunkt der Abreise war schon alles arrangiert. Wir wollten dann gar keine andere Möglichkeit mehr sehen. Auch rückblickend sind wir sehr froh über unsere Entscheidung.
Wie sehen deine Arbeitsschwerpunkte aus?
Mich erreichen unterschiedliche Genres. Bei allen Manuskripten konzentriere ich mich stark auf das inhaltliche Lektorat. Dafür nutze ich meine Methode Schreibdreiklang. Ich gehe jedes Manuskript dreimal durch und fokussiere mich jeweils auf ein anderes Element: 1. Das Schreibhandwerk, 2. den Schreibstil und 3. die Schreibstimme. Daher biete ich auch kein Korrektorat an. Ich bin so sehr mit dem Text verbunden, dass ich nicht für oder gegen jedes Komma meine Hand ins Feuer legen würde. Momentan merke ich, dass das ein Nachteil bei den Aufträgen ist. Ich habe den Eindruck, viele wollen Lektorat und Korrektorat von einer Person in einem Durchgang.
Wie kommst du mit der Zeitverschiebung zurecht oder hat das keine Auswirkungen auf deinen Arbeitsalltag?
Für mich ist die Zeitverschiebung in Ordnung. Bei unserer Ankunft war unsere Tochter ein halbes Jahr alt und ich habe sie gestillt. Bald darauf kam schon ihre Schwester auf die Welt und ein weiteres Geschwisterchen ist im Bauch. Daher sind meine Schlaf- und Wachzeiten so individuell, dass ich mich sehr flexibel an die deutsche Zeit bei Terminen anpassen kann. Oft starten sie um 22 oder 23 Uhr, aber nach Mitternacht, je nach Jahreszeit 17 oder 18 Uhr in Deutschland, nehme ich keine Termine an. Auf meinen Arbeitsalltag als Lektorin hat das keine Auswirkungen. Weder bei Terminen mit Auftraggebenden noch mit Kolleg*innen oder dem Team aus dem Patenschaftsprogramm der Regionalgruppe Bayern war eine Uhrzeit am Vormittag bisher ein Problem. Ich nehme an, hierfür spielte die Coronakrise eine Rolle, weil das digitale Miteinander viel selbstverständlicher und überhaupt möglich geworden ist. 2013 war ich schon mal für ein halbes Jahr in China, da wäre meine Lektoratstätigkeit glaube ich, nicht möglich gewesen – so ohne Flatrate und diverse digitale Apps.
Anders sieht es bei Schreibgruppen oder Seminaren aus. Ich schreibe auch selbst Bücher und hier findet der meiste Austausch abends statt. Das ist dann bei mir weit nach Mitternacht und wirklich nur in Ausnahmefällen möglich.
Du bist mit 121 Büchern nach China umgezogen. Was machen Bücher für dich aus? Verrätst du uns ein paar der Titel, die du im Regal stehen hast?
Bevor ich bei der Frage Probleme mit chinesischen Behörden bekomme: Es waren natürlich nur 50 Bücher in der Luftfracht, mehr erlaubt der chinesische Zoll nicht. Und die restlichen 71 musste ich auf unsere Koffer verteilen. Was ein ziemlicher Kampf mit meinem Ehemann war, der meine Leidenschaft fürs Lesen und Schreiben so gar nicht teilt. Er hätte nicht für möglich gehalten, worauf ich alles verzichte, nur damit noch ein Buch mitkann. Auch in der Expat-Community hier in Shenyang stoße ich auf Unverständnis. Die meisten lesen digital, wenn überhaupt und dann auch nur Sachbücher. Sehr wenige gestehen mir, dass sich doch der ein oder andere Liebesroman dazwischen mogelt.
Ich habe stattdessen gemerkt, wie viel mehr ich Land und Leute verstehe, wenn ich mich über Romane einlese. Bei den 121 ging es mir aber nicht nur darum. Ich war wie bereits erwähnt 2013 schon ein halbes Jahr in China, damals war ich sehr geschockt und habe den Aufenthalt sogar früher beendet. Daher habe ich mich dieses Mal ganz anders vorbereitet. Und ein Punkt war eben Erinnerungen an die Heimat mitzunehmen. Und die gehen nicht nur übers Essen, sondern eben auch über Sprache und in China über die Schrift. Also habe ich ein Potpourri an Büchern mitgenommen. Bücher, von denen ich wusste, allein der Anblick auf den Buchrücken zaubert mir ein Lächeln ins Gesicht oder löst positive Energie und Gefühle aus. Von Julian Barnes über Takis Würger, Richard David Precht oder Ferdinand von Schirach, bis hin zu Marc Elsberg und vielen Büchern rund ums Schreiben oder meiner jeweiligen Recherche ist vieles dabei. Zum Glück bekomme ich aber alle halbe Jahr eine Büchersendung von einer ganz lieben Freundin. Ich lese nun zwar sehr viel digital, aber manches brauche ich einfach zum Anfassen.
Was ich nicht gedacht hätte. Kinderbücher erhalte ich sogar hier in Shenyang auf Deutsch. Eine Freundin ist mit einer Druckerei in Kontakt, die für deutsche Verlage druckt und bis zu zehn Exemplare werden für die Qualität immer mehr produziert. Diese kann ich dann über sie beziehen. Natürlich nicht auf Wunsch, aber es ist immer eine ganz besondere Überraschung, was im Kinderbuchpaket enthalten ist.
Deine Marke und Website hat den schönen Namen Wortjuwelen. Was verbindest du mit dem Namen?
Meine Oma und Mama haben früher schon immer besondere Zeitungsausschnitte herausgerissen, herumgereicht, diskutiert und aufbewahrt. Ich habe das zu ihrem Entsetzen als Kind auch mit Buchseiten gemacht, die ich besonders toll fand. Alle diese Ausschnitte, meine Textjuwelen, habe ich in einer Holzbox gesammelt. Später hieß dann mein digitaler Ordner, mit allen Zitaten und Auszügen, die sehr viel mit mir gemacht haben, „Textjuwelen“. Deshalb war für mich klar, dass ich so meine Website für das Lektorat nennen möchte. Leider war die Domain schon vergeben. Mittlerweile bin ich sehr froh darüber. Wortjuwelen sind das Ergebnis eines gelungenen Buchprojektes mit Lektorat. Worte allein, sind für sich gesehen alle Juwelen. Jedes Wort ist ein Juwel. In der richtigen Reihenfolge und Zusammensetzung ergeben alle Worte Textjuwelen. Und genau darin sehe ich meine Arbeit als Lektorin.
Interview: Katja Rosenbohm
Korrektorat: Sibylle Schütz
Beitragsbild: Tanja Wirnitzer, (c) privat
Tanja Wirnitzers Website und Profil im VFLL-Lektoratsverzeichnis
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Wow, liebe Tanja, was für ein Mut, was für ein toller Lebensabschnitt! Ich danke Dir für den sehr, sehr interessanten Einblick in Dein Leben und wünsche Dir beruflich und Dir und Deiner Familie privat alles, alles Gute!
Liebe Katja, danke für das tolle Interview, die Lektüre hat mir viel Freude bereitet!
Herzliche Grüße
Diana
Vielen Dank, liebe Diana, für diese schöne Rückmeldung!