Nicht alle Tage wird eines unserer Mitglieder für einen Preis nominiert. Wir freuen uns mit Johanna Schwering, die für den diesjährigen Übersetzerpreis der Leipziger Buchmesse nominiert wurde, sind gespannt auf die Entscheidung der Jury und nehmen dies zum Anlass, ein Interview mit Johanna zu führen.
Update (27.04.2023): Der Preis der Leipziger Buchmesse 2023 in der Kategorie Übersetzung ging an Johanna Schwering! Wir gratulieren herzlich!
Wie war deine Reaktion, als du erfuhrst, dass du mit deiner Übersetzung aus dem argentinischen Spanisch der „Cousinen“ von Aurora Venturini für den Übersetzerpreis der Leipziger Buchmesse nominiert bist?
Erst mal habe ich ein paar Tränen der Überwältigung verdrückt. Dann habe ich viel Energie darauf verwendet, das Geheimhaltungsgebot einzuhalten, bis die Nominierung offiziell war. Und ziemlich bald habe ich verstanden, dass die mit der Nominierung einhergehende Aufregung und auch ein paar Veranstaltungen auf großen Bühnen sich nicht gut vertragen mit konzentrierter Textarbeit, und habe zwei Auftraggeberinnen um Fristaufschub gebeten.
In der Begründung der Jury steht:
„Die Art-brut-Künstlerin Yuna schreibt sich mit Hilfe eines Wörterbuches aus ihrer, wie sie selbst sagt, ‚Minderbemitteltheit‘ heraus und findet dabei zunehmend eine Sprache für die von Dumpfheit, Armut und Missbrauch geprägten Familienverhältnisse. Dieser harte, dabei aber niemals zynische Roman braucht die kongeniale Übersetzung, weil er die Aufklärung in der sprachlichen Entwicklung der Erzählerin bis in die Kommasetzung hinein konkret vorführt.“
Das hört sich sehr anspruchsvoll an! Wie erging es dir während deiner Übersetzerinnentätigkeit? Konntest du dich leicht in die Protagonistin hineinversetzen?
Es ist ein sehr anspruchsvolles und auch sehr spannendes Buch, mit einem sich vor erstaunlichen Ereignissen überschlagenden Plot, aber vor allem mit großen sprachlichen Herausforderungen. Aurora Venturini hat einen sehr eigenen Stil und schreibt in diesem Buch zum einen ohne Punkt und Komma, zum anderen benutzt sie viele ungewöhnliche und ungebräuchliche Begriffe. Es ist ein Buch, das eine „aktive Leserin“ verlangt. Man muss sich darauf einlassen und bereit sein, mitzudenken und auch jede Menge Ellipsen aushalten. Mir haben mehrere Leute erzählt, dass sie beim Lesen erst mal angefangen haben, den Text im Kopf zu redigieren, weil die Kommasetzung von den Regeln der Zeichensetzung abweicht. Es dauert ein wenig, bis die Ich-Erzählerin uns erklärt, warum sie so schreibt, wie sie es tut. Die Erzählerin reflektiert das alles außerdem permanent und ist sehr erschöpft von ihrer Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten der Sprache. Vor allem das konnte ich während der Übersetzung irgendwann gut nachvollziehen – ich habe mich hier kreativ komplett verausgabt und war auch phasenweise sehr erschöpft, wie die Erzählerin Yuna.
Und – ganz laienhaft gefragt – gibt es einen großen Unterschied zwischen Spanisch und argentinischem Spanisch?
Es gibt einerseits gewisse Unterscheidungen zwischen der Sprache, die in Spanien gesprochen und geschrieben wird, und der, die auf dem gesamten lateinamerikanischen Kontinent gebraucht wird. Und dann gibt es viele regionale Unterschiede vor allem im Vokabular, auch zwischen den verschiedenen lateinamerikanischen Regionen. Ich habe in Argentinien Spanisch gelernt und dort auch eine Weile gelebt, das argentinische Spanisch ist meine erste Fremdsprache. Für die Übersetzung dieses Buches war das sehr hilfreich, weil ich recht gut identifizieren konnte, wo und wie stark Venturini von der gebräuchlichen argentinischen Ausdrucksweise abweicht.
War dir schon früh klar, dass du etwas mit Sprache machen möchtest?
Ich war als Kind und Jugendliche eine klassische Leseratte und zugleich ein leidenschaftlich gerechtigkeitsliebender Mensch. Mit 14 wollte ich Rechtsanwältin werden. Ich kann immer noch besser für die Interessen anderer kämpfen als für meine eigenen, was natürlich eine Eigenschaft ist, die auch für die Arbeit als Übersetzerin und Lektorin sehr nützlich ist.
Wie war dein beruflicher Werdegang?
Ich wollte entweder „was mit Literatur“ machen oder „was mit Pädagogik“. Im Studium hat sich die Literatur dann durchgesetzt, ich habe Lateinamerikanistik studiert und in den Nebenfächern Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaften und Erziehungswissenschaften. Der Vater eines Schulfreundes war Lektor, sein Arbeitszimmer und seine Erzählungen haben meinen Berufswunsch geprägt und seine Kontakte meine ersten Schritte im Beruf ermöglicht. Meine berufliche Profilierung hat sich dann aus zwei verschiedenen Richtungen genährt: Zum einen habe ich begonnen, für die kommerziellen Programme des Rowohlt Verlags Belletristik zu begutachten und irgendwann auch zu redigieren. Später habe ich dort eine Elternzeitvertretung im Lektorat des Kindler Verlags gemacht, das war eine sehr lehrreiche und wertvolle Zeit für meine Professionalisierung. Zum anderen habe ich über Kontakte aus dem Studium lateinamerikanische Lyrik für ein Festival übersetzt und mich der Redaktion der Zeitschrift „alba. lateinamerika lesen“ angeschlossen. Da habe ich zwei Jahre lang lateinamerikanische Literatur akquiriert, übersetzt und lektoriert, die mich persönlich interessiert hat. Das war intensive ehrenamtliche Projektarbeit, also kann man das nicht zu lange machen, aber gelernt habe ich dabei sehr viel. Ich habe außerdem neben meiner freiberuflichen Tätigkeit lange im Buchhandel gearbeitet. Da habe ich viel über den deutschsprachigen Buchmarkt gelernt, was mir als Lektorin sehr hilft.
Was machst du lieber? Lektorieren oder übersetzen?
Ich liebe beides. Sehr. Ich lese aber mehr als Lektorin. Wenn ich ein Buch prüfe, frage ich mich nicht als Erstes, wie bringe ich das ins Deutsche, sondern: Wo steht das in der Buchhandlung, wem empfehle ich das, wie sollte es vermarktet werden? Das Übersetzen ist für mich eine kreative Erholung von diesem Schubladendenken, das der Markt diktiert. Ich glaube auch, dass sich beide Tätigkeiten gut ergänzen und gegenseitig befruchten. Meine eigenen Erfahrungen als Übersetzerin helfen mir, die Übersetzenden besser zu verstehen, deren Arbeit ich lektoriere. Auch die Autor*innen. Wichtig und manchmal auch herausfordernd ist, jeweils die Rolle zu wahren, in der ich mich im Projekt befinde. Als Übersetzerin darf ich dem Lektorat nicht vorauseilen. Als Lektorin muss ich die urheberrechtliche und kreative Hoheit der Übersetzerin oder Autorin respektieren, mit der ich zusammenarbeite. Es ist schön und bereichernd, beide Schreibtischseiten zu erleben.
Du engagierst dich auch sehr im VFLL. Du bist in der AG Impressum aktiv, die letztes Jahr sehr erfolgreich, unter anderem auf der Frankfurter Buchmesse, tätig war. Was hat dich persönlich zu deinem Engagement bewogen?
Ich engagiere mich seit dem Studium im Ehrenamt und mache dabei sehr positive, bestärkende und freudebringende Erfahrungen. In die beiden Berufsverbände, die meine Zünfte vertreten, den VFLL und den VdÜ, bin ich aber erst relativ spät eingetreten. Das war an einem Punkt in meiner Karriere, wo ich das Gefühl hatte, ich bin inhaltlich gut da angekommen, wo ich stehen will, habe Freude an meiner Arbeit und bekomme ideell viel Anerkennung dafür. Aber finanziell kann ich so nicht bis zur Rente weitermachen, und wenn sich an den bescheidenen Honoraren etwas verändern soll, die in der Verlagsbranche für Textdienstleistungen gezahlt werden, reicht es nicht, individuell bei jedem Auftrag um einen Euro mehr pro Normseite zu verhandeln. Wir müssen gemeinsam und systematisch Druck machen, damit die Honorare sich verdoppeln, wir wirtschaftlich arbeiten können und uns nicht in die Altersarmut verabschieden oder auf besserverdienende Partner*innen verlassen müssen. Dieses Problem betrifft freie Lektor*innen ebenso wie Literaturübersetzer*innen. Ich glaube, dass Sichtbarkeit, Wertschätzung und Entlohnung eng zusammenhängen, und deshalb engagiere ich mich für die Sichtbarkeit und für bessere Honorare für beide Berufsgruppen.
Wir drücken dir die Daumen, dass du mit deiner Übersetzung gewinnst!
Vielen Dank. Für mich ist die Nominierung allein schon eine riesige Auszeichnung, die hoffentlich auch diesem tollen Buch noch ein paar Leser*innen beschert.
Interview: Sibylle Schütz
Coverbild: „Die Cousinen“, (c) dtv
Porträtfoto: (c) Johanna Schwering / privat
Beitragsfoto: Collage aus Porträt (c) Johanna Schwering / Sibylle Baier; Cover „Die Cousinen“, (c) dtv
Update (27.04.2023): Der Preis der Leipziger Buchmesse 2023 in der Kategorie Übersetzung ging an Johanna Schwering! Wir gratulieren herzlich!
Nominiert für den Preis der Leipziger Buchmesse 2023 im Bereich Übersetzung
Aurora Venturini: Die Cousinen, übersetzt aus dem argentinischen Spanisch von Johanna Schwering, dtv, 2. Auflage, 2022, 192 Seiten, Hardcover, 23,– Euro, ISBN 978-3-423-29031-9.
Das Buch bei dtv
Das Buch ist über den Buchhandel und online z. B. im Autorenwelt-Shop erhältlich.
Infos zum Preis der Leipziger Buchmesse 2023
Johanna Schwerings Profil im VFLL-Verzeichnis
Weitere Blogbeiträge aus dieser Reihe:
2022 erhielt VFLL-Mitglied Johanna Gerhard den Selfpublishing-Buchpreis in der Kategorie Belletristik für ihren Roman „Der Klang von Feuerblau“.
2020 wurde VFLL-Mitglied Cordula Setzmann als Übersetzerin von „Wer ist Edward Moon?“ mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet.
2019 war VFLL-Mitglied Daniela Dreuth Mitglied der Jury des Deutschen Selfpublishing-Preises und 2018 mit ihrem „Kinderohren“-Blog selbst nominiert für den Buchblog-Award Bubla.
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