VFLL-Mitglied und Autorin Norma Schneider

„Ich wünsche mir ein baldiges Ende des Putin-Regimes“

Die Mitglieder im VFLL sind oft nicht nur Lektor*innen, sondern einige veröffentlichen auch selbst Bücher. Ein sehr interessantes und zudem brandaktuelles Buch hat Norma Schneider geschrieben. In „Punk statt Putin. Gegenkultur in Russland“ geht es um die zahlreichen Aktiven in Russland, die sich mit viel Fantasie und Durchhaltevermögen gegen die repressive Politik wenden. Norma Schneider wurde im Deutschlandfunk Kultur dazu interviewt. Im Blogbeitrag erläutert sie unter anderem, wie sie auf dieses spezielle und wichtige Thema gekommen ist. Wir erfahren aber auch einiges über ihren Werdegang.

Wie kamst du darauf „Punk statt Putin“ zu schreiben?

Ich habe schon vor einigen Jahren angefangen, mich für oppositionelle Kultur in Russland zu interessieren. Meine erste Begegnung mit dem Thema waren die Bücher von Vladimir Sorokin, das sind radikale, experimentelle und hochpolitische Texte, die ich auf Anhieb viel interessanter fand als das meiste, das ich aus der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur kannte. Das zweite war der Fall Pussy Riot, der mir die Augen dafür geöffnet hat, was es bedeutet, in einem autoritären Staat wie Russland Punk und Protest zu betreiben. Ich wollte mehr darüber erfahren und herausfinden, welche Formen von Gegenkultur es in Russland gibt und wie der Staat auf sie reagiert. Daraus hat sich dann in den letzten Jahren eine journalistische Recherche und schließlich das Buchprojekt entwickelt.

Worum geht es in deinem Werk genau?

Coverbild „Punk statt Putin. Gegenkultur in Russland“ von Norma Schneider

Norma Schneiders „Punk statt Putin. Gegenkultur in Russland“, (c) Ventil Verlag

Es geht nicht nur um Punk, wie der Titel vermuten lassen könnte, sondern um verschiedene Formen von oppositioneller Kunst in Russland, vor allem im Bereich der Musik und Literatur. Aber auch Memes, queere Onlinekultur oder Protestperformances im öffentlichen Raum kommen zur Sprache. Ich stelle verschiedene Künstler*innen vor, die ich interviewt habe, und zeige zum Beispiel an Songtexten, wie Musiker*innen auf den Krieg gegen die Ukraine reagieren. Da man in Westeuropa oft nur dann von kritischer Kunst in Russland hört, wenn jemand dafür ins Gefängnis kommt, war es mir wichtig, zu zeigen, was trotz Repressionen möglich ist oder zumindest vor dem 24. Februar 2022 möglich war, und die Vielfalt der Gegenkultur vorzustellen.

Vor diesen konkreten Beispielen gibt es aber zu Beginn des Buches noch einen theoretischen Teil, da schreibe ich über den Kontext, in dem sich Gegenkultur bewegt, also darüber, was eigentlich der Mainstream ist, gegen den sie sich richtet: Wie funktioniert die staatliche Ideologie des Putin-Regimes und welche Formen von Kunst sind im Sinne der staatlichen Kulturpolitik? Mit welchen Reaktionen der Regierung müssen oppositionelle Künstler*innen rechnen? Welche Themen sind für die Gegenkultur wichtig und wo kann sie überhaupt stattfinden? Und wie hat sich die Situation seit dem Angriff auf die Ukraine verändert?

Du hast die Arbeit an dem Buch vor dem russischen Angriff auf die Ukraine begonnen. Was hat sich in der Zwischenzeit verändert?

Für mich als Autorin hat sich erst mal konkret geändert, dass ich meine geplante Recherchereise nach Russland aus Sicherheitsgründen nicht angetreten bin und ich viel aus der Ferne recherchieren musste. Und für die russische Gegenkultur hat sich die Lage so drastisch verschlechtert, dass ich in meinem Buch eigentlich zwei Welten zeige: Zum einen die Putin-Jahre bis 2022, als es zwar natürlich bereits starke Repressionen gab, aber immer auch Spielräume vorhanden waren, die von Künstler*innen genutzt wurden, und wo einfach viel mehr möglich war. Und zum anderen die aktuelle Lage, in der Gegenkultur nur noch im Exil oder im Untergrund stattfinden kann. Das bedeutet, dass oppositionelle Kunst seit dem 24. Februar 2022 viel weniger sichtbar ist, weil die Repressionen so viel stärker geworden sind. Es ist kaum noch möglich, wie damals bei Pussy Riot, die Mehrheitsgesellschaft zu erreichen und zu irritieren. Es gibt aber trotzdem noch einige mutige Menschen, die genau das weiterhin versuchen – aber sie gehen damit ein sehr hohes Risiko ein, nämlich für viele Jahre ins Gefängnis zu kommen. Dazu kommt noch, dass seit letztem Jahr auch sämtliche queeren Inhalte in Russland verboten sind, also zum Beispiel ein Buch, das von einer homosexuellen Beziehung erzählt, nicht mehr verkauft werden darf.

Du bist Journalistin, Autorin und Lektorin. Wie war dein beruflicher Werdegang?

Ich war mir schon recht früh sicher, dass ich in irgendeiner Form mit Texten arbeiten will, und habe mich für ein recht textlastiges Studium entschieden – Philosophie, Germanistik und Soziologie. Als Studentin habe ich dann angefangen, nebenher sowohl Artikel zu kulturellen Themen zu schreiben als auch Korrektur zu lesen. Es war also von Anfang an zweigeteilt bei mir zwischen eigenen Texten und der Arbeit an den Texten anderer. Mein kuriosester Text-Job bisher war das Übersetzen von Computerspielen aus dem Englischen ins Deutsche, dafür habe ich mein Studium für ein Semester unterbrochen und in Dublin in einer Übersetzungsfirma gearbeitet.

Nach meinem Abschluss 2017 habe ich mich dann direkt selbstständig gemacht, weil ich das Angebot hatte, als „feste Freie“ an der Thomas-Mann-Ausgabe im S. Fischer Verlag mitzuarbeiten. Nebenher habe ich dann weiter Artikel für Zeitungen geschrieben und für andere Verlage Korrektur gelesen. Dann kamen bald auch schon die ersten Lektoratsprojekte für Privatkund*innen.

Mittlerweile arbeite ich nicht mehr für die Thomas-Mann-Ausgabe, sondern lektoriere für die verschiedensten Kund*innen – Verlage, Selfpublisher, Organisationen. Seit Kurzem bin ich auch freie Mitarbeiterin in der Schlussredaktion beim Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik.

Für „Punk statt Putin“ habe ich lange nebenher recherchiert und mich auf Stipendien beworben. Sobald ich dann 2021 die Zusage für die Förderung durch die VG Wort im Rahmen von „Neustart Kultur“ bekommen hatte, konnte ich mir mehr Zeit dafür nehmen und endlich das Buch schreiben.

Was macht dir mehr Freude: die Arbeit an Texten als Lektorin und Autorin oder das Recherchieren und Schreiben als Journalistin?

Ich dachte lange, ich müsste mich für eines von beidem entscheiden und dann entweder in einem Verlag als Lektorin oder als Journalistin in einer Redaktion arbeiten. Mittlerweile weiß ich aber, dass ich mich gar nicht entscheiden will, weil mir beides Freude macht. Die Freiberuflichkeit, in der sich viele verschiedene Projekte miteinander kombinieren lassen, ist also im Moment genau das Richtige für mich. Schreiben macht mir zwar sehr viel Spaß, aber es ist auch sehr anstrengend, ich kann das nicht lange am Stück machen. Ich habe das Gefühl, dass beim Lektorieren und Korrigieren ein anderer Teil meines Kopfes beansprucht wird, und genau diese Abwechslung tut mir gut.

Seit wann bist du im VFLL und was schätzt du am meisten?

Ich bin seit 2019 im VFLL und habe zuerst das Seminar „Fit fürs Freie Lektorat“ gemacht, was ich sehr hilfreich fand, um mich als Freiberuflerin besser aufzustellen und ein besseres Gespür dafür zu bekommen, was ich bei Aufträgen bedenken sollte, wie man gut Honorare kalkuliert und all das. Seitdem habe ich einige Weiterbildungen beim VFLL gemacht, die sich alle gelohnt haben, ich habe viel dazugelernt. Das Fortbildungsprogramm gehört also auf jeden Fall zu den Dingen, die ich am meisten schätze am Verband. Dazu kommt natürlich die tolle Möglichkeit, sich mit Kolleg*innen auszutauschen und zu vernetzen. Und mein Profil auf lektor-in-finden.de hat mir auch schon den ein oder anderen Auftrag eingebracht.

Was wünschst du dir für die Zukunft Russlands?

Ich wünsche mir ein baldiges Ende des Putin-Regimes, dass Russland den Krieg gegen die Ukraine verliert, sich komplett vom ukrainischen Staatsgebiet zurückzieht und für die Kriegsverbrechen zur Rechenschaft gezogen wird. Nur dann kann ein gesellschaftlicher Wandel in Russland stattfinden, der dabei hilft, einen demokratischen Staat aufzubauen und politisches Bewusstsein in der Gesellschaft zu schaffen. Viele der Menschen, die ich für mein Buch interviewt habe, wünschen sich das, und sie würden gerne dazu beitragen, ein solches „anderes“ Russland aufzubauen. Aber wie realistisch das ist, ist natürlich die andere Frage.

Interview: Sibylle Schütz
Coverbild: „Punkt statt Putin“, (c) Ventil Verlag
Beitragsfoto: (c) Norma Schneider / privat


Norma Schneider: Punk statt Putin. Gegenkultur in Russland, Ventil Verlag, 2023, 192 Seiten, Softcover, 16,– Euro, ISBN 978-3-95575-202-6.

Das Buch beim Ventil Verlag

Das Buch ist über den Buchhandel und online z. B. im Autorenwelt-Shop erhältlich.


Interview mit Norma Schneider auf Deutschlandfunk Kultur vom 27. April 2023


Norma Schneiders Website und Profil im VFLL-Verzeichnis


Weitere Blogbeiträge aus dieser Reihe:

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