VFLL-Mitglied Sabine Hofbauer aus der Regionalgruppe Stuttgart brennt für das Fantasy-Genre in Wort und Bild. Für den VFLL-Blog hat sie sich mit dem neuesten Band der mehrfach preisgekrönten Bestsellerautorin Rebecca Yarros auseinandergesetzt. „Fourth Wing“ ist für sie, wie sie im Vorgespräch verraten hat, eines der besten Fantasy-Bücher, die sie all die Jahre gelesen hat.
Von Sabine Hofbauer
Der Bereich der Fantastik erlebt einen anhaltenden Hype, der mitunter auch Rekorde bricht. Amazon investiert ein dreistelliges Millionenvolumen in die Verfilmung der Vorgeschichte von „Herr der Ringe“, das meistverkaufte Kinderbuch der Welt handelt von dem viel zitierten Jungen mit der Zickzacknarbe auf der Stirn, und von „Game of Thrones“ haben bestimmt auch diejenigen dem Namen nach schon etwas gehört, die mit dem Genre der Fantastik normalerweise nichts oder nicht viel anfangen können.
Von Tolkien bis „Game of Thrones“
Seit Tolkiens „Der kleine Hobbit“ oder seinem „Herr der Ringe“ hat sich unglaublich viel getan in diesem an Mythologie und Sagen orientierten Genre. Die Schreibenden haben viele neue Welten und Sagenhaftiges für sich und die Lesenden entdeckt. Mittlerweile entstehen immer wieder neue Subgenres im Fantasy-Bereich: Urban, Contemporary, Animal, Dark, Low oder auch die sehr beliebte High Fantasy mit eigenen Welten. Und oft wimmelt es gerade in der High Fantasy vor unglaublichen Kreaturen, magischen Wesen und sehr vielen Namen.
Ich liebe Fantasy. In Film und im Buch. Vor allem im Buch. Und als Lektor*in liest man Bücher immer ein wenig anders, der Fokus liegt nicht nur auf der Geschichte, nein, das „Überauge“ achtet auch immer auf die Überzeugungskraft der Geschehnisse, der Figuren (vor allem der Figuren!), Wortabstände, Zeilenumbrüche, Satzzeichen, Groß- oder Kleinschreibungen, korrekte Schreibweisen. Mein spezieller Liebling, was das angeht, ist auch immer wieder die Beobachtung von: Wie werden Gedanken oder wörtliche Rede ausgezeichnet? Mit Anführungszeichen? Kursiv? Oder alles ganz ohne? Aber am Ende steht immer die Frage: Werde ich in die Geschichte hineingesogen (ja, bewusst mit s)? Finde ich mich wieder in der Heldin, dem Helden, der oder die immer durchschnittlich, oft sogar weniger als das ist? Und schafft sie oder er es, sich selbst zu überwinden, trotz aller Hindernisse und der Feinde, die das Sich-empor-Kämpfen eigentlich zum Scheitern verurteilen? Kann die Heldin, der Held die Heldenreise vollenden?
Der Reiz von Fantasy-Büchern
Was aber macht ein gutes Fantasy-Buch im Gesamten aus? Ich denke, die Anziehung für die Lesenden liegt in einer gekonnten Verknüpfung zwischen Verrückt-Fantastischem und Dingen, die uns berühren, die unsere Werte und vor allem unsere Sehnsüchte bedienen.
Gerade ist in der „Süddeutschen Zeitung“ ein Artikel über das Fieber nach Liebesromanen, auch aus dem Bereich Fantasy erschienen. Dort wird unter anderem Bezug genommen auf Rebecca Yarros´ Fourth Wing – Flammengeküsst. Der Reiz? Unter anderem hat die Autorin gezeigt, dass es in Bezug auf magische Wesen etc. auch schlichter geht, man aber trotzdem einen echten Pageturner landen kann. Meiner Meinung nach: Das Fantasy-Highlight des Jahres!
Rebecca Yarros hat mit ihrem Band Fourth Wing – Flammengeküsst vermutlich ebenfalls einen neuen Rekord gesetzt, zumindest sehr nah dran, denn der Band war in den USA wenige Wochen nach seinem Erscheinen im Juni komplett ausverkauft, inklusive etwaiger Lagerbestände. Und ich ziehe darüber hinaus meinen (nicht vorhandenen) Hut vor ihr als Autorin: Sie ist Mutter von sechs Kindern.
Rebecca Yarros hat in Fourth Wing – Flammengeküsst all das umgesetzt, was vor allem Frauen emotional anzusprechen scheint. Okay, mit Klischees und mit Romantik und etwas Erotik, aber dieses Gemisch zieht die Leser*innen ab dem ersten Satz unweigerlich hinein in die Welt des „Basgiarth War College“, in dem nur die Besten überleben.
Der Inhalt
Durch eine brutale Strafe wurden alle Aufständischen in Navarre getötet und deren Kinder für Basgiarth als Drachenreiter verpflichtet, im Austausch dafür, dass man sie am Leben lässt. Dennoch ist die Akademie das Ziel aller Heranwachsenden. Das Prestige, zu den für ihr Land Navarre Kämpfenden zu gehören und die damit verbundene Verehrung der Drachenreiter steht weit über dem Fakt, dass bis zum Ende des ersten Ausbildungsjahres nicht einmal die Hälfte aller Kadetten überlebt.
Die Protagonistin Violet ist genau die Antipodin dazu: Sie ist nicht das erstgeborene, sondern nur das dritte Kind, schwächlich und klein, und dann auch noch die Tochter der Generalin der Akademie. Ihr Bruder zählte als Reiter zu den Hoffnungsträgern als Heiler, starb jedoch bei einem Überfall; vor ihrer älteren Schwester richten viele den Blick ehrfürchtig zu Boden, da sie beim Angriff der Aufständischen als gnadenlose Kämpferin noch größeres Unheil abwenden konnte. Und: Alle kennen Violets (Nach-)Namen. Violet hingegen wollte nur Schriftgelehrte sein. Ihre Mutter duldet das nicht und schickt sie in die Ausbildung zur Reiterin. Dort erwartet sie vom ersten Schritt an der Tod – wenn nicht durch einen ihrer Mitkadetten, dann ganz bestimmt durch einen Drachen, der sich niemals an einen Schwächling wie sie binden würde, sondern sie eher abfackelt.
Die Aufnahmeprüfungen für die Akademie sind gnadenlos, jede*r kämpft für sich und ums Überleben. Die Drachen, die die Menschen eher als notwendiges Übel ansehen, binden sich nur an einen von ihnen, wenn sie ihn oder sie für geeignet und lebenstauglich halten. Und es gibt mindestens einen ihrer Mitanwärter, der Violet lieber früher als später tot sehen möchte. Zudem wird ausgerechnet der Staffelführer, dessen Eltern auf Befehl von Violets Mutter getötet wurden, ihr Vorgesetzter. Für Violet wird der Anspruch, möglichst lange zu überleben, zu einem Hürdenlauf, dessen Latten immer höher hängen.
Rebecca Yarros verbindet mit ihrer unkompliziert nachvollziehbaren, emotionalen Sprache (erste Seite, Zeile 12: „Ich bin so was von am Arsch.“) und den anschaulichen Schilderungen der Szenerien (Seite 49, 9. Zeile von unten: „Die Festung ragt hinter diesen mächtigen Zinnen empor – ein paar hohe Steingebäude, die in einer L-förmigen Anordnung in den Berghang gehauen sind, …“) zwei Elemente, die man schlicht und ergreifend als Garanten für einen Leseerfolg für ein breites Publikum werten kann. Sie setzt geschickt die verschiedenen Archetypen ein, lässt ihre Heldin Mut fassen und Rückschläge erleben, um am Ende mit einem gelungenen Plot-Twist und Cliffhanger die Leserschaft mit den Hufen scharren zu lassen, bis im Dezember 2023 Band 2 Iron Flame – Flammengeküsst erscheinen wird – natürlich für wahre Fans auch in einer Schmuckversion.
Sabine Hofbauers Website und Profil im VFLL-Verzeichnis
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