Dorrit Bartel mit ihrem neuen Roman „Der Äthiopier“

„Es war nie eine Option, ihn in meiner Schublade versauern zu lassen“

Nach einer prägenden Begegnung in Äthiopien beschließt VFLL-Kollegin Dorrit Bartel, eine beeindruckende Lebensgeschichte literarisch festzuhalten. Der Roman „Der Äthiopier“ ist das Ergebnis jahrelanger Arbeit, geprägt von persönlichen Herausforderungen. Über die zahlreichen Rückschläge, den schwierigen Verlagssuche-Prozess und die Herausforderungen, eine andere Kultur authentisch zu vermitteln, berichtet sie im Blog.

Um was für ein Werk handelt es sich?

Romancover „Der Äthiopier“

Cover des Romans „Der Äthiopier“ von Dorrit Bartel

Der Roman „Der Äthiopier“ entstand nach einer Begegnung mit dem Äthiopier Adane, an dessen Lebensgeschichte sich der Roman orientiert. Spannend an seiner Geschichte ist, dass er in seinem Leben sehr viele gesellschaftliche und politische Umbrüche erlebt hat. Das begann in seiner Kindheit in der Savanne, aus der er gerissen wurde, weil norwegische Nonnen ihn in ihre Schule und ihr Internat holten. Später studierte er in der DDR und erlebte dort den Fall der Mauer. Nach einem kurzen Intermezzo in der Heimat kehrte er in das vereinigte Deutschland zurück und entschied sich am Ende doch wieder für ein Leben in Äthiopien, wo er für die Bildung von Kindern sorgte. Sein Leben wurde ständig durch äußere Umstände in andere Richtungen gezwungen und er hat es geschafft, nach jedem Rückschlag wieder aufzustehen.

Wie warst du daran beteiligt?

Ich bin die Autorin und die Verlegerin.

Wie bist du auf das Thema gekommen?

Als ich Adane im Februar 2018 bei einer Äthiopienreise kennenlernte, lag zu Hause ein angefangener Roman über eine ostdeutsche Familie in den Jahren nach dem Mauerfall. Ich wollte mit dem Roman der Frage nachspüren, wie sich gesellschaftliche Umbrüche auf Menschen auswirken, weil für mich persönlich als Ostdeutsche der Umbruch 1989/90 mein Leben komplett verändert hat.

Und dann traf ich Adane, dessen Geschichte meiner Ausgangsfrage eine globale Perspektive hinzufügte. Das hat mich elektrisiert und ich wusste sofort, dass ich dieses Buch schreiben muss.

Hast du in einem Verlag publiziert oder per Selfpublishing?

Nachdem ich fast drei Jahre vergeblich auf der Suche nach einem Verlag war, zuletzt mit Unterstützung eines Agenten, habe ich mich entschieden, den Roman selbst herauszubringen. Es war nie eine Option, ihn in meiner Schublade versauern zu lassen. Dafür ist er einfach zu gut 😉

Die momentanen Entwicklungen in der Buchbranche sind nicht gerade vorteilhaft für die Verlagssuche. Andererseits: Das Buch über meine Afrikareisen, das ich im vergangenen Jahr selbst herausgebracht habe, hat in diesem Jahr eine neue Heimat in einem Verlag gefunden. Damals habe ich dafür vorab keine Chance bei einem Verlag gesehen und gar nicht aktiv nach einem gesucht. Jetzt kam der Verlag Leseglück auf mich zu. Es ist also schwierig, vor allem aber ziemlich unberechenbar. Manchmal gibt es glückliche Zufälle.

Wie lange hast du an dem Buch gearbeitet?

Alles in allem hat es von der Idee bis zur Buchpremiere etwa sechseinhalb Jahre gebraucht. Etwa zweieinhalb Jahre habe ich an dem Buch gearbeitet, bis der Text fertig war. Wobei das erste Jahr vor allem Vorarbeit war. Im Sommer 2018 war ich ein zweites Mal in Äthiopien und habe viele lange Gespräche mit Adane geführt. Die etwa fünfundzwanzig Stunden Tonaufnahmen habe ich dann erst einmal abgetippt und in dieser Zeit das erste Kapitel geschrieben.

Im folgenden Jahr gab es viele persönliche Umbrüche in meinem Leben und ich hatte über Monate wenig Zeit zum Schreiben. Erst als ich meinen Job als Assistentin in einem Verband Ende 2019 kündigte, konnte ich mich voll auf die Arbeit am Roman stürzen. Für mich war die Coronazeit ein echter Glücksfall: Diese Zeit, in der sowieso erwartet wurde, dass man in aller Ruhe zu Hause blieb. Mir hätte zu dem Zeitpunkt kaum etwas Besseres passieren können. Im November 2020 habe ich „Ende“ unter den Roman geschrieben und im Folgejahr nur noch ein einziges Kapitel hinzugefügt.

Die Verlagssuche, das Warten auf Antworten von Verlagen und Agenturen hat mehr Zeit in Anspruch genommen als das Schreiben selbst. Das, was ich als Selfpublisherin tun musste, um das Buch in die Welt zu bringen, hat nochmals etwa ein halbes Jahr in Anspruch genommen. Das ginge vermutlich auch schneller, aber mir war es recht, mir dabei Zeit zu lassen.

Gab es spezielle Herausforderungen?

Einige. Die eindrücklichste wird deutlich, wenn ich sage, dass ich mir geschworen habe, nie wieder einen Roman mit einer Hauptfigur aus einem anderen Kulturkreis zu schreiben. Es war immer wieder schwierig, mich in das andere Umfeld, die andere Sozialisation einzufühlen und davon so zu erzählen, dass es hier in Deutschland verstanden werden kann, ohne dass ich mit Klischees arbeite. Ich habe meine Arbeit an dem Roman als eine Art Übersetzungsarbeit für die andere Kultur verstanden. Das war eine große Herausforderung. Immerhin: Dadurch, dass Adane lange in Deutschland gelebt hat, konnte ich mich dazu gut mit ihm austauschen, er verstand meine Fragen, hat sich oft auch darüber lustig gemacht: „Du denkst wieder deutsch.“

Auf einer Reise lernte Dorrit Bartel den Äthiopier Adane kennen, an dessen Lebensgeschichte sich der Roman orientiert. Foto: (c) privat

Auch die Tatsache, dass ich mich mit Adane über eine Entfernung von tausenden Kilometern austauschen musste, war nicht immer einfach. Für November 2020, als das Buch fertig war, hatte ich einen Flug nach Äthiopien gebucht, weil wir gemeinsam das Buch Kapitel für Kapitel durchgehen wollten. Doch zwei Wochen bevor ich reisen wollte, brach in Äthiopien ein Bürgerkrieg aus und ich konnte nicht reisen. Wir haben dann telefonisch daran gearbeitet, aber es gab auch Zeiten, in denen die Arbeit an dem Buch in den Hintergrund trat, weil Adane kämpfte, um in einem Bürgerkriegsland seinen Alltag zu meistern und die Kinder zu versorgen.

Eine Herausforderung, die ich nicht gemeistert habe, war, dass ich das Buch unbedingt zu Lebzeiten von Adane herausgebracht sehen wollte. Das ist leider nicht gelungen, Adane starb im Dezember 2023.

Was hat besonders Freude gemacht?

Die tiefe Befriedigung, einen Roman zu schreiben, von dem ich überzeugt bin, dass er ein wichtiger Beitrag zur Völkerverständigung ist. Mir ist bewusst, dass sich das pathetisch anhört, aber ich meine es tatsächlich so. Eine begeisterte Leserin schrieb mir zum Beispiel, sie hätte bislang nichts über Äthiopien gewusst, dabei gäbe es doch so viel zu erfahren.

Als der Bürgerkrieg in Äthiopien herrschte, gab es Kolleginnen und Kollegen, die sich nach Adane erkundigten, weil sie von meinem Projekt wussten. Sie haben auch gespendet, als er vollkommen verzweifelt war, als er wegen Corona und Krieg kein Geld verdiente. Es ist mir gelungen, einen von uns weit entfernten Krieg aus der Anonymität zu holen, den Blick für einen Moment auf den dortigen Alltag und die Menschen zu richten. Darüber bin ich sehr froh, denn das ist mein Anliegen.

Wie fühlt es sich an, das Werk nun in den Händen zu halten?

Zugegebenermaßen war der erste Moment mit dem Buch in der Hand wenig erhebend. Sechs Jahre Arbeit und dann ist es einfach ein Buch von Tausenden. Das war sehr seltsam. Aber jetzt, einige Wochen nach dem Erscheinen und nach ersten begeisterten Rückmeldungen, halte ich das Buch stolz in den Händen und denke mir: „Ist ein ziemlich dickes Buch, mit 350 Seiten. Und ich habe die geschrieben. Wow.“

Gibt es noch etwas, das du uns dazu sagen möchtest?

VFLL-Mitglied und Autorin Dorrit Bartel, Foto: (c) Joseph Antoine Meki

Bewundert habe ich an Adane seine Fähigkeit, einmal mehr aufzustehen als hinzufallen. Ich wünsche mir, dass etwas von seinem unerschütterlichen Optimismus auf die Leserinnen und Leser überspringt.

Interview: Katja Rosenbohm
Korrektorat: Sibylle Schütz
Beitragsbild: Dorrit Bartel, Foto: (c) privat


Dorrit Bartel: Der Äthiopier, 2024, 350 Seiten, Broschur, 19,00 Euro, ISBN 9783759855206.
Auch als Hardcover und E-Book.

Das Buch bei epubli

Das Buch ist außerdem über den Buchhandel und online erhältlich.

Mehr zum Buch auf der Seite der Autorin; Lesungstermine werden regelmäßig auf ihrem Instagram-Kanal @dorritbartel bekanntgegeben.


Dorrit Bartel Website und Profil im VFLL-Verzeichnis


Zum ersten Interview mit Dorrit Bartel: Vorstellung von „Afrikas Pulsschlag“


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