Das Cover der deutschen Ausgabe „Meine langen Nächte“ von Ilva Fabiani neben der italienischen Ausgabe „Le lunghe notti di Anna Alrutz.“

„Das Buch ist keine ganz leichte Kost“

Das Herz von VFLL-Kollegin Dr. Birgit Ulmer (Regionalgruppe Niedersachsen) schlägt nicht nur fürs Lektorat, sondern auch für Übersetzungen aus dem Italienischen ins Deutsche. Im Juli 2023 ist der von ihr übersetzte Roman „Meine langen Nächte“ von Ilva Fabiani im Steidl Verlag erschienen. Im Blog stellt sie das Buch vor.

Um was für ein Werk handelt es sich?

„Meine langen Nächte“ von Ilva Fabiani ist die Geschichte einer ideologischen Verirrung, aber auch eine Geschichte des Mitgefühls und der späten Einsicht: die anrührende literarische Lebensbeichte einer jungen Frau – soweit der letzte Satz des Klappentextes.

Cover der deutschen Ausgabe „Meine langen Nächte“, (c) Steidl Verlag

Die Protagonistin Anna Alrutz erzählt in diesem Roman ihre Lebensgeschichte in der Rückschau, denn sie ist tot und eine Art Geist, der immer wieder in verschiedene Situationen dieses Lebens zurückgeworfen wird: Anna stammt aus einem gutbürgerlichen und aufgeklärten Elternhaus, verbringt eine recht unbeschwerte Kindheit und Jugend. Das hält sie jedoch nicht davon ab, sich für den Nationalsozialismus zu begeistern und ihr Medizinstudium abzubrechen. Stattdessen lässt sie sich zu einer sogenannten „braunen Schwester“, also einer NS-Krankenschwester, ausbilden und ist anschließend an Zwangssterilisationen in der Göttinger Frauenklinik beteiligt. Als ihre Überzeugung ins Wanken kommt, wird sie vor eine schwere Entscheidung gestellt.

Das Buch ist keine ganz leichte Kost (Stichwort: Täterinnenperspektive), bereitet aber ein wichtiges und bislang wenig beachtetes und wenig bekanntes Thema packend und mit viel Empathie auf. In vielem ist es zudem von geradezu beängstigender Aktualität!

Wie warst du daran beteiligt?

Als Übersetzerin. Auf Italienisch ist der Roman bereits 2014 bei Feltrinelli erschienen: Ilva Fabiani: Le lunghe notti di Anna Alrutz.

Wie bist du zu der Übersetzung gekommen?

Die Autorin hatte vor längerer Zeit Kontakt zu mir aufgenommen, weil sie auf der Suche nach einem Verlag für eine deutsche Übersetzung war. Der Text hat mich von Anfang an überzeugt, ich fand ihn thematisch wichtig und interessant, zudem gut recherchiert und sehr ansprechend geschrieben.

Wie lange hast du an der Übersetzung gearbeitet?

Mit längeren Pausen insgesamt ca. eineinhalb Jahre, davon ein halbes Jahr intensiv – zuerst im Rahmen eines Stipendiums der VG Wort, dann als wir endlich den Steidl Verlag für das Projekt gewonnen hatten und es an die gründliche Überarbeitung der Rohfassung ging.

Gab es spezielle Herausforderungen?

Die genauen historischen Fakten waren mir nicht so präsent, hier musste ich recherchieren. Das war bei dem Thema zwar nicht immer angenehm, aber sehr interessant. Das Erzähltempo nimmt im Text immer mehr zu, er wird schneller und härter, das wollte ich auch ins Deutsche übertragen.

Außerdem galt es natürlich den zur erzählten Zeit passenden Ton zu treffen – und wer liest schon gerne eine Rede von Hitler, um ihm zeitgemäße Worte in den Mund zu legen?!

Was hat besonders Freude gemacht?

Die Zusammenarbeit mit der Autorin, die selbst sehr gut Deutsch spricht. Sie lebt und arbeitet schon seit vielen Jahren in Deutschland. Außerdem habe ich richtig viel gelernt.

Wie fühlt es sich an, das Werk nun in den Händen zu halten?

Ganz wunderbar! Vor allem, weil es so lange gedauert hat, bis wir endlich einen Verlag dafür gefunden haben. Und ich finde, das Buch ist auch sehr ansprechend und hochwertig gestaltet.

Gibt es noch etwas, das du uns dazu sagen möchtest?

Trotz vieler Rückschläge und gefühlter tausend Absagen von Verlagen hat es sich gelohnt, dranzubleiben und nicht aufzugeben. Abseits von Bestsellerlisten und dem „big business“ gibt es so viele tolle, wichtige Bücher, die es zu entdecken und ggf. zu übersetzen gilt!

Interview: Katja Rosenbohm
Cover: (c) Steidl Verlag
Beitragsbild: (Von links) Cover der deutschen Ausgabe „Meine langen Nächte“, (c) Steidl Verlag, neben der italienischen Ausgabe „Le lunghe notti di Anna Alrutz“ von Ilva Fabiani, (c) Feltrinelli.
Porträtfoto: Dr. Birgit Ulmer, (c) privat


Übersetzerin und VFLL-Kollegin Dr. Birgit Ulmer

Ilva Fabiani: Meine langen Nächte, übersetzt von Birgit Ulmer, Steidl Verlag, 2023, 272 Seiten, Hardcover, 24,00 Euro, ISBN 978-3-9699-9198-5.

Das Buch beim Steidl Verlag

Das Buch ist außerdem über den Buchhandel und online z. B. im Autorenwelt-Shop erhältlich.


Dr. Birgit Ulmers Website und Profil im VFLL-Verzeichnis


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