VFLL-Mitglied Marion Voigt mit ihrem neuen Buch „Verheißung und Dekadenz“

„Baden-Baden war im 19. Jahrhundert ein internationaler Hotspot“

In „Verheißung und Dekadenz“, der neuen Veröffentlichung von VFLL-Kollegin Marion Voigt, werden Literaten wie Turgenjew und Dostojewski lebendig. Im Interview spricht die Autorin über ihre Herangehensweise und die Herausforderungen während der Entstehung des Werks.

Um was für ein Werk handelt es sich?

Cover des Buches „Verheißung und Dekadenz“, (c) 8 grad verlag

In meinem erzählenden Sachbuch „Verheißung und Dekadenz“ verbinde ich einen bestimmten Ort mit sieben historischen Persönlichkeiten. Baden-Baden war im 19. Jahrhundert ein internationaler Hotspot, gerade auch für Menschen aus dem Russischen Imperium. Das Weltbad inspirierte Künstlerinnen und Künstler und vermittelte eine Idee von Europa, die sich aus dem kulturellen Austausch und der Vielfalt seiner Einflüsse nährte. Eine einzigartige Atmosphäre. Iwan Turgenjew, Fjodor Dostojewski, Iwan Gontscharow und der ukrainisch-russische Meistererzähler Nikolai Gogol, aber auch die in Deutschland unbekannten Dichter Wassili Schukowski und Pjotr Wjasemski sowie die bemerkenswerte Alexandra Smirnowa hielten sich dort auf und hinterließen ihre Spuren. Wer zurück in die Zeit vor zweihundert Jahren reisen und Klassiker der Weltliteratur (wieder-)entdecken möchte, wird hier fündig – garantiert ohne falsche Russlandromantik.

Wie warst du daran beteiligt?

Mit dem Verlag zusammen habe ich das Konzept für die Reihe »Köpfe« entwickelt, in der das Buch erschienen ist. So kommt es, dass ich sowohl Herausgeberin als auch Autorin bin.

Wie bist du zu dem Werk oder auf das Thema gekommen?

Der Verleger ist auf mich zugekommen: Wäre das nicht etwas für Sie? – Eine Woche Bedenkzeit brauchte ich, um mich dafür zu entscheiden. Ich bin zwar Slawistin, aber ich schwankte, ob ich die Zeit für Recherche und Schreiben finden würde. Schließlich überwogen die Vorfreude und die Gewissheit, dass ich an Themen meiner Studienzeit anknüpfen konnte. Das war Weihnachten 2021. Zwei Monate später begann der Angriffskrieg gegen die Ukraine, und die schöngeistige Beschäftigung mit den russischen Klassikern erschien plötzlich fragwürdig. Dennoch entschieden der Verleger und ich, das Projekt weiterzuverfolgen, und darüber bin ich sehr froh. Es zeigte sich rasch, dass die russischsprachige Literatur und die Geschichte des 19. Jahrhunderts mehr mit der Gegenwart zu tun haben als gedacht.

In welchem Verlag ist das Werk erschienen?

Von Anfang an stand fest, dass Verheißung und Dekadenz im 8 grad verlag erscheinen würde. Dadurch konnte ich mich auf die inhaltliche Arbeit konzentrieren und hatte in allen Fragen tolle Unterstützung. Zum Beispiel überlegte ich, ob ich das abschließende Kapitel Alexandra Smirnowa widmen sollte, denn sie ist keine Schriftstellerin im engeren Sinn. Aber ihre Geschichte rundet das Buch ab, das fand auch der Verleger.

Wie lange hast du an dem Buch gearbeitet?

Gut eineinhalb Jahre, nicht kontinuierlich, sondern mit teils längeren Pausen dazwischen. Ich habe mir Wochenenden freigeschaufelt und mich eingegraben. Ganze Tage verbrachte ich damit zu lesen und stellte am Ende fest, dass ich nur drei Sätze geschrieben hatte. Wie sollte daraus ein Buch werden? Irgendwie reihte sich dann doch Kapitel an Kapitel, und je mehr ich wusste, desto mehr faszinierte mich das Thema.

Gab es spezielle Herausforderungen?

Über einige meiner Protagonisten gibt es wenig Literatur, schon gar nicht auf Deutsch. Zum Glück fand ich russische Quellen und Monografien, die online zugänglich waren. Zu den bekannten Größen hatte ich dagegen eine Überfülle an Material. So enthält etwa die dreißigbändige Ausgabe von Turgenjews Werken achtzehn Bände mit Briefen; ich musste mich bremsen, nicht immer weiter zu recherchieren. – Eine ganz andere Herausforderung erwartete mich nach Erscheinen des Buchs. Als ich mich auf die Premierenlesung in Baden-Baden vorbereitete, merkte ich, wie anspruchsvoll es ist, ein Lesemanuskript zu erstellen. Welche Passagen auswählen? Wie Überleitungen ergänzen? Wo Erklärungen einfügen? Damit hatte ich nicht gerechnet.

Was hat besonders Freude gemacht?

Mit den zeitgenössischen Quellen zu arbeiten war wunderbar. Das Tagebuch von Dostojewskis Frau Anna Grigorjewna versetzte mich direkt nach Baden-Baden im Sommer 1867, und das Badeblatt des Kurorts mit seinen Nachrichten und Kuriositäten führte mir das Alltagsleben lebhaft vor Augen. Durch diese Zeitreise habe ich unter anderem Gontscharows Oblomow neu entdeckt, diesen sprichwörtlichen Faulpelz in einer Epoche gesellschaftlicher Umbrüche.

Wie fühlt es sich an, das Werk nun in den Händen zu halten?

Zuerst war es ein bisschen surreal, das Buch anfassen und darin blättern zu können. Inzwischen überwiegt so eine Art professioneller Distanz. Nur manchmal überflutet mich eine Welle heißer Freude, dass es dieses Buch wirklich gibt.

Gibt es noch etwas, das du uns dazu sagen möchtest?

Die Anfrage, dieses Buch zu schreiben, kam für mich überraschend. Ich hätte mich auch auf mein gewohntes Terrain zurückziehen können, ohne viel Zeit in etwas zu investieren mit ungewissem Ausgang. Ich fühlte mich zwar der Aufgabe gewachsen, sah aber mindestens ebenso viele Möglichkeiten zu scheitern wie das selbst gesetzte Ziel zu erreichen. Aber wenn es um Herzensthemen geht, kommt die dafür nötige Energie wie von Zauberhand mit dazu. Neues auszuprobieren, sich selbst herauszufordern lohnt sich. Und nicht vergessen: Man darf sich auch Unterstützung holen.

VFLL-Mitglied und Autorin, Marion Voigt; Foto: Simone Kessler

Interview: Katja Rosenbohm
Korrektorat: Sibylle Schütz

Beitragsbild: (c) Marion Voigt, privat


Marion Voigt: Verheißung und Dekadenz. Baden-Baden und die russische Literatur im 19. Jahrhundert. Biografische Skizzen, Hardcover, 228 Seiten, 24,00 Euro, Freiburg, 2024. ISBN 978-3-910228-07-8

Das Buch im 8 grad verlag
Das Buch im Autorenwelt-Shop
Das Buch ist außerdem über den Buchhandel und online erhältlich


Marion Voigts Website und Profil im VFLL-Lektoratsverzeichnis


Weitere Interviews mit Marion Voigt:

„Als Lektorin habe ich es unglaublich genossen, meinen Text lektorieren zu lassen“ (2021)
„Ohne Netzwerken kann ich mir meinen Beruf nicht vorstellen“ (2020)
Marion Voigt über „Herr Katz, Isolde und Ich – oder wie macht man eigentlich ein Buch?“ (2015)


Weitere Blogbeiträge aus dieser Reihe:

„Es gab genügend knifflige Fälle“ (2024)
„Ich sollte mich endlich mal hinsetzen und dazu ein Buch schreiben“ (2024)
„Die Lesenden können vom Sofa aus Berlin erkunden“ (2024)
„Es wurde nicht wieder gut“ (2024)
„Ich habe für dieses Buch von der Idee bis zur Veröffentlichung alles selbst gemacht“ (2024)
„Zu Beginn von Corona habe ich die Buchidee wieder aufgegriffen“ (2024)
„Ich bin ein fröhlicherer Mensch in Afrika“ (2024)
„Das Buch ist keine ganz leichte Kost“ (2023)
„Jedes einzelne Land zu erkunden war toll“ (2023)
„Gendern ist viel mehr als nur Sterne über den Text zu streuen“ (2023)

 

 

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