VFLL-Mitglied Gisela Hack-Molitor hat in nur knapp zehn Monaten im Auftrag des Freiburger 8 grad verlags das Leben und Werk der jüdischen Autorin Lotte Paepcke skizziert. Im Beitrag erfahren wir mehr über die Hintergrundrecherche und warum auch der Zufall eine bedeutende Rolle spielen kann.
Um was für ein Werk handelt es sich?
Das Buch ist mit knapp 180 Seiten am ehesten als biografische Skizze zu bezeichnen und richtet sich an eine allgemeine Leserschaft. Es geht darin um die bislang wenig bekannte Autorin Lotte Paepcke (1910–2000) aus Freiburg im Breisgau. Sie war Kommunistin und studierte Jura – bis zur Zäsur 1933. Den Holocaust überlebte sie in Deutschland, dank ihrer Ehe mit einem Protestanten und mutiger Menschen, die ihr halfen. Nach dem Krieg blieb sie in Deutschland, arbeitete ehrenamtlich als Eheberaterin in Karlsruhe, schrieb Bücher und Gedichte und setzte sich in vielen Beiträgen für Radio und Zeitschriften intensiv mit ihren Erfahrungen in Nazideutschland und dem Mief der Fünfziger- und beginnenden Sechzigerjahre auseinander. Doch richtig heimisch konnte sie in Deutschland nicht mehr werden.
Wie bist du auf das Thema gekommen?
Auf das Thema hat mich meine seit langen Jahren geschätzte VFLL-Kollegin Marion Voigt gebracht, die für den jungen Freiburger 8 grad verlag eine Reihe betreut. Sie klopfte bei mir an, ob ich etwas zum Verlagsprogramm beisteuern wolle, und machte Vorschläge. Da hörte ich zum ersten Mal den Namen Lotte Paepcke, deren Bücher heute alle vergriffen sind. Ich las mich ein und entschied sehr schnell: Über diese Autorin wollte ich gerne schreiben. Als besonders spannend und wichtig für das Verständnis jüdischen Lebens in Deutschland nach dem Holocaust empfinde ich Paepckes Beiträge für den Südwestfunk, die sich bisher noch niemand genau angeschaut hatte. So nahm ich das Angebot des 8 grad verlags gerne an.
Aus ihren Schriften, aus Archivmaterial und Zeitungsartikeln lernte ich den Lebensweg und die Schaffenskraft Lotte Paepckes kennen. Ihre Geradlinigkeit und Stärke, ungeachtet der tiefen Verletzungen infolge der Nazizeit, und ihr Einsatz für die junge bundesdeutsche Demokratie nach 1945 beeindrucken mich.
Wie lange hast du an dem Buch gearbeitet?
Bevor ich zum Schreiben kam, waren noch zwei andere große Projekte abzuarbeiten. Am Ende standen für das Buch nur noch etwa zehn Monate zur Verfügung. Die ersten Monate war ich dann ausschließlich mit Recherche beschäftigt, und hier und da gab es noch andere Jobs zu erledigen – von irgendetwas muss man ja leben. Es war ein Wettlauf gegen die Zeit, denn der Erscheinungstermin stand schon lange fest – was bekanntlich außerordentlich beflügelnd wirken kann. Als im Sommer 2023 die letzten Teile fertig waren und der Termin gehalten werden konnte, war ich entsprechend froh und erleichtert.
Gab es spezielle Herausforderungen?
Es hat eine Weile gedauert, bis es mir gelang, schriftlich Kontakt zu den Nachkommen Lotte Paepckes aufzunehmen. Die Rechtefrage war zunächst unklar, der Verlag, der die Bücher zuletzt verlegt hatte, gab innerhalb dieser Zeit die Rechte an die Familie zurück. Zum persönlichen Kontakt kam es im Frühjahr 2023, und dabei kam mir der Zufall zu Hilfe: Zum ersten Mal wurde in Freiburg der Lotte-Paepcke-Preis verliehen, den die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Freiburg e. V. für (Schul-)Projekte zu jüdischer Geschichtsforschung und Engagement gegen Antisemitismus und Rassismus ausgelobt hat. Bei dieser Gelegenheit lernte ich einige Familienmitglieder kennen, aber auch die Leiterin und den Vorstand des NS-Dokumentationszentrums Freiburg, das demnächst eröffnet wird. Für mein Buch war das ein Glücksfall: Die Familie erwies sich als sehr großzügig und hat mir nicht nur erlaubt, aus den Werken Lotte Paepckes zu zitieren, sondern mir auch zahlreiche Fotos aus dem Familienalbum zur Verfügung gestellt.
Was hat besonders Freude gemacht?
Die Recherche für dieses Buch war in mancher Hinsicht Detektivarbeit, und das liebe ich besonders: Fundorte von Quellenmaterial aufzuspüren und dann, wenn möglich, im Archiv die Akten durchzusehen. Das ist meist aufschlussreicher als einfach Digitalisate zu bestellen (was nicht immer angeboten wird), weil im Archiv der Kontext der Archivalien haptisch greifbar wird. Auf diese Weise habe ich in der Vergangenheit schon in vielen Archiven gesessen, vor allem für meine langjährige externe wissenschaftliche Tätigkeit für das Institut für Medizin- und Ethikgeschichte der Universität Frankfurt, wobei es auch um jüdische Lebenswege gegangen war. Meine Studien entwickele ich nicht nach vorher festgelegten Kriterien, sondern organisch aus dem Quellenmaterial. Wenn das Bild der Persönlichkeit(en), in deren Schicksal man immer weiter eintaucht, mehr und mehr an Kontur gewinnt und Zeitgeschichte auf diese Weise anschaulich wird, ist das sehr einprägsam und horizonterweiternd und für mich durchaus beglückend.
Derzeit sammele ich weiteres Material zu Lotte Paepcke und hoffe auf Fördermittel, um die biografische Skizze zu einer richtigen Monografie ausarbeiten und diese wichtige Autorin damit weiter bekannt machen und ihr gerecht werden zu können.
Gibt es noch etwas, das du uns dazu sagen möchtest?
Mich freut das Interesse an dem Buch, es finden immer wieder Lesungen statt. Lotte Paepcke hatte nach dem Krieg lange als freie Mitarbeiterin für den Südwestfunk gearbeitet. Der heutige Leiter des Freiburger SWR-Studios Christoph Ebner ist gleichzeitig Vorsitzender des Fördervereins des NS-Dokumentationszentrums Freiburg. So hatte ich das Glück, zur Buchpremiere im Oktober 2023 ins SWR-Studio nach Freiburg eingeladen zu werden. Es war eine Kombination aus Gespräch und Lesung, an der neben Christoph Ebner auch die wissenschaftliche Leiterin des NS-Dokumentationszentrums Julia Wolrab teilnahmen.
Interview: Katja Rosenbohm
Beitragsbild: (c) privat
Gisela Hack-Molitor: Lotte Paepcke. Als Jüdin in Nachkriegsdeutschland. Hardcover, 160 Seiten, 2023, 24 Euro, ISBN 978-3-910228-17-7.
Das Buch beim 8 grad verlag
Das Buch ist außerdem über den Buchhandel und online z. B. im Autorenwelt-Shop erhältlich.
Weitere Links:
Artikel zur Buchpremiere im SWR-Studio Freiburg am 24.10.2023: Lotte Paepcke – eine Freiburger Jüdin, die geblieben ist, mit Porträt zu Lotte Paepcke und einem Mitschnitt der Lesung
Wertvolle Erinnerungsarbeit: Gisela Hack-Molitors neuer Band über die jüdische Schriftstellerin Lotte Paepcke, SWR2 am Samstagnachmittag, Sendung vom 25.11.2023
Weitere Lesungstermine:
Lesung am Dienstag, 12. März 2024, 19 Uhr, Vortragssaal im Staatsarchiv Ludwigsburg, Arsenalplatz 3, 71638 Ludwigsburg
Lesung am Dienstag, 19. März 2024, 17 bis 18:30 Uhr, Nachmittagsakademie, Hospitalhof Stuttgart, Büchsenstraße 33, Stuttgart
Dr. Gisela Hack-Molitors Website und Profil im VFLL-Lektoratsverzeichnis
Weitere Blogbeiträge aus dieser Reihe:
„Ich habe für dieses Buch von der Idee bis zur Veröffentlichung alles selbst gemacht“ (2024)
„Zu Beginn von Corona habe ich die Buchidee wieder aufgegriffen“ (2024)
„Ich bin ein fröhlicherer Mensch in Afrika“ (2024)
„Das Buch ist keine ganz leichte Kost“ (2023)
„Jedes einzelne Land zu erkunden war toll“ (2023)
„Gendern ist viel mehr als nur Sterne über den Text zu streuen“ (2023)
„Sachbücher haben ihre speziellen Herausforderungen“ (2023)
„Hauptsache, echter Potterhead!“ (2023)
„Es fehlte ein praxisbezogener Ratgeber für betroffene Mütter“ (2023)
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