Symbolbild Diversität

„Diversität auf dem deutschen Buchmarkt“

„Diversität auf dem deutschen Buchmarkt“ – so lautete der Titel einer sehr gut besuchten Onlineveranstaltung, die vor Kurzem von der Regionalgruppe Niedersachsen/Bremen angeboten wurde. VFLL-Mitglied Mona Jakob hat die Diskussion für den VFLL-Blog zusammengefasst.

Von Mona Jakob

Die Regionalgruppe Niedersachsen/Bremen hatte für März über Zoom zu einer verbandsinternen Podiumsdiskussion „Diversität auf dem deutschen Buchmarkt“ eingeladen. Als „Außenstelle“ des VFLL in Galway, Irland, habe ich mich besonders darüber gefreut, dass ich mich anschließen durfte und einen virtuellen Platz ergattern konnte.

Durch den Abend führte der Autor, Übersetzer, Sensitivity-Reader sowie Diversity- und Empowerment-Trainer Aşkın-Hayat Doğan. Er unterhielt sich mit der Kinder- und Jugendbuchautorin Regina Feldmann sowie mit dem Krimiautor Elias Mateo – der als Lektor auch Mitglied im VFLL ist. Ich war begeistert, dass die Organisatorinnen der Veranstaltung, Katrin Opatz und Franziska Walter, ein solch professionelles und eben diverses Panel gewinnen konnten. Gleichzeitig fiel mir auf, wie weiß1 die Gruppe der Gäste war, wie groß aber auch das Interesse bei den etwa 30 Teilnehmenden an diesem Thema ist.

Was ist Diversity?

Nach einer kurzen Vorstellung stieg Aşkın gleich mit einer großen Frage ein: Was ist Diversity? Regina erklärte, dass man Diversity mit Vielfalt übersetzen kann und sie diese auch für dringend notwendig hält. Sie habe allerdings das Gefühl, dass Diversität bei vielen Entscheidungen auf dem deutschsprachigen Buchmarkt nicht als ganzheitliches Konzept, sondern eher als Marketingtrend verstanden würde. Damit sei dem wahren Konzept der Diversity natürlich nicht gedient. Elias erfülle das Konzept eher mit Unbehagen, da seiner Meinung nach Diversity die Grenzen zwischen Gruppen betone, wenn letztere eigentlich abgeschafft werden sollten.

Aşkın hakte an der Stelle direkt nach und fragte Regina und Elias, wie sie professionell wahrgenommen werden. Als trans Mann erzählte uns Elias, dass er häufig als Frau gelesen werde, jedoch in neuen Gruppen weniger Probleme mit der zutreffenden Pronominalisierung habe als bei alten Bekannten, die ja erst ‚umdenken‘ müssten. Regina verwies auf die Tokenisierung (also „das Einnehmen einer Alibifunktion von einer marginalisierten Person innerhalb von Gruppen“): Sie möchte nicht als die Schwarze1 Kinder- und Jugendbuchautorin zum Beispiel auf Festivals „spontan“ eingeladen werden und den Veranstaltenden als Ablassbrief dienen: „Schaut, wir sind divers, wir haben sogar eine Schwarze Autorin dabei.“

Verlagsfindung

Bei der Frage nach der Verlagsfindung erzählte uns Elias, dass er bei seinem Kriminalroman „Ein sicherer Hafen“ keine Probleme bei der Suche hatte. Er hatte sich gezielt nach Verlagen umgesehen, die nicht auf queere Literatur spezialisiert sind. Beim KellnerVerlag fühlt er sich auch nicht als ‚Quoten-Queerer‘, sondern voll akzeptiert und gut aufgehoben. Elias fände es im Rahmen des Einreißens von Grenzen super, wenn queere Literatur nicht mehr ausschließlich ihren eigenen Tisch bekommt, sondern eben mit allen anderen Büchern im Regal steht.

Kinder- und Jugendbuchautorin Regina Feldmann, Foto: Lilian Scarlet Löwenbrück

Regina verriet uns, dass sie mit ihrem deutsch klingenden Namen zunächst einmal bei der Verlagssuche keinem Rassismus begegnet ist. Jedoch erlebte sie bei Agenturen, die speziell Schwarze1 Autor*innen suchen und fördern, dass diese gerne bestimmen, was geschrieben werden soll – da steht Rassismus oft ganz oben auf der Themenwunschliste: Du bist Schwarz1, bitte schreibe dann auch über „dein“ Thema Rassismus. Regina möchte aber, wie alle Autor*innen, ihre eigene Geschichten erzählen. Häufig werden BIPoC (Black, Indigenous, People of Colour – eine Eigenbezeichnung für nicht weiße Menschen), die Kinderbücher schreiben, jedoch in die Erstleserschiene geschoben oder sie bekommen direkt eine*n Co-Autor*in angeboten.

Genre und Diversität

Aşkın fragte die Gesprächsrunde dann, ob es bestimmte Genres gebe, in denen Diversität besonders gefragt oder schon besonders vertreten sei. Regina erklärte, dass gerade in Kinderbüchern Diversität boome – aber leider nur in den Geschichten: Es interessiere nicht, wer das Buch geschrieben, lektoriert, übersetzt, illustriert habe, solange auch mal ein Kind mit brauner Haut auftauche oder eines im Rollstuhl über die Seite fahre. Elias sah besonders in Science-Fiction und Krimis, dass die Akzeptanz von Diversität viel größer ist – jedoch scheint der Fokus auch hier eher auf dem Inhalt der Geschichte und ihren fiktiven Figuren als auf den Schaffenden zu liegen. Einen interessanten Unterschied machte Elias zwischen Film- und Buchkrimi: Auf dem Bildschirm sei die Akzeptanz für Diversität größer als zwischen den Seiten: Hier schienen viele Verlage oft ängstlich und trauten dem Publikum nicht zu, dass der Kommissar auch mal schwul sein dürfe. Ein Beispiel wurde vom Panel angeführt: Die Autorin Noah Sow war – so wurde berichtet – gebeten worden, ihre Hauptfigur in „Die Schwarze Madonna“ weiß zu machen – das hatte sie zum Glück nicht getan. Das Panel war sich einig, dass viele Verlage Diversität immer noch den Verkaufszahlen unterordnen.

Und wie schaut’s jetzt aus?

Autor, Übersetzer, Sensitivity-Reader sowie Diversity- und Empowerment-Trainer Aşkın-Hayat Doğan moderierte die Veranstaltung, Foto: Oliver Hoogvliet

Aşkın wollte anschließend wissen, ob die Lage im Buchmarkt aktuell besser werde oder vielleicht gar ein Haltungswechsel zu erkennen sei („Wir machen es [divers/anders/gegen den Trend], auch wenn es nicht boomt!“). Regina betonte, dass die gesamten Strukturen betrachtet werden müssen: Viele kleinere Verlage seien bereits mutiger, aber es komme auf die einzelnen Personen an. So hat sie die Erfahrung gemacht, dass zum Beispiel viele Lektor*innen motiviert seien und Diversität aktiv unterstützten, jedoch hingen auch die Agenturen, das Programm, das Marketing, der Vertrieb, die Buchhandlungen, die Festivals und vieles mehr am langen Schwanz der Buchproduktion und -vermarktung. Sie fand, dass an jeder Schraube gedreht werden sollte. Elias sah das recht nüchtern: Wenn viele (große) Verlage endlich mutiger wären, sei die Stimmung in der Gesellschaft eventuell schon wieder weniger offen. Damit würde sich eine Art gegenläufiger Trend ergeben.

Müssen diverse Autor*innen Aktivist*innen sein?

Elias möchte gute Krimis schreiben und daneben einen gesellschaftlichen Lehrauftrag übernehmen, ohne belehrend zu sein. So bekommt sein zweiter Krimi eine Trigger-Warnung, weil das Thema gruppenbezogener Hass dort stellenweise auch sprachlich repräsentiert sein wird. Regina versucht, sich von den Erwartungen zu lösen, die Schwarzen Autor*innen oft entgegengebracht wird. So wurden in ihrem Buch „Kami & Mika – Die phantastische Reise nach Wolkenhain“ Aktivist*innen von der Illustratorin Ayşe Klinge mit eingebracht: Jedoch wird darauf nicht explizit verwiesen. Wer die Aktivist*innen erkennt, tut das sicherlich mit Freude, wer es nicht tut, kann sich immer noch über die Illustrationen freuen.

Fragerunde

Abschließend konnten wir uns als Publikum einbringen. Zunächst wurde gefragt, wie Antidiskriminierung im Buchmarkt aussehen könnte. Regina schlug vor, dass ein Verlag zum Beispiel regelmäßig Workshops zu Diversität und Antidiskriminierung auf allen hierarchischen Ebenen anbieten könnte. Es könnte auch eine Sprechstunde im Verlag geben, angeboten von einer zur Antidiskriminierung beauftragten Person. Wichtig sei die Regelmäßigkeit dieser Veranstaltungen. „Sprechen lernen über Rassismus ist wie ein Muskel, den wir als Gesellschaft trainieren müssen“ (Tupoka Ogette). Auch Elias war der Meinung, dass die Arbeitswelt viel leisten könne. Das betreffe auch Institutionen und Behörden, die zu Antidiskriminierung beitragen sollten. Er sah dieses Anliegen zum Beispiel bei der Polizei Niedersachsen vorbildlich umgesetzt. Insgesamt wurde eine deutlich größere Integration von marginalisierten Gruppen vom Panel betont: Diese Gruppen müssten in die Strukturen hereinkommen und es muss eben nicht nur zum Beispiel die eine Schwarze1 Autorin geben, die mal mit aufs Verlagsfoto gebracht werde.

Schließlich wurde gefragt, wie man als Autor*in am besten „Writing the Other“ betreibe bzw. ob man das überhaupt tun sollte. Dabei ging es darum, dass ein*e Autor*in Figuren schreibe, die eben anders seien als sie selbst: weiß schreibt Schwarz, hetero schreibt homo, trans schreibt cis. Elias sagte dazu, dass er als weiße Person zum Beispiel nicht zentral über Rassismus schreiben würde, aber dass es wichtig sei, keine Verbote auszusprechen im Sinne von: „Darüber darfst du nicht schreiben, es ist nicht deine Gruppe.“ Wenn man Themen wie Rassismus angehen möchte und selbst keine Erfahrung darin habe, seien Beratungen, das Lektorat, ein Sensitivity-Reading zentral. Man könne über alles schreiben, solang man sich Hilfe zu Themen suche, die man nur als Außenstehende*r kennt: Recherchieren, nachfragen, zuhören. Aber natürlich mit der Bitte nicht zu erwarten, dass die Schwarze Freundin, der schwule Freund, die Bekannte im Rollstuhl automatisch zu Informationsquellen würden und aufgrund ihrer Identität eine Rundumschulung bieten (sollten). Das sei ein Lehrauftrag, den zum Beispiel Sensitivity-Reader übernehmen können, „wenn ihr sie bucht.“

Für Regina stand Authentizität beim Schreiben ganz oben, ebenso wie die Teilhabe: Diversität sei gut, aber es müsse bedacht werden, dass an diesem Boom alle beteiligt würden und gerade die Personen und Personengruppen auch im echten Leben dabei seien, die vielleicht nicht mehr so stark auf den Buchseiten marginalisiert würden, aber weiterhin nicht im Buchmarkt integriert seien.

Fazit

Mona Jakob, VFLL-Mitglied und Autorin des Beitrags, Foto: Sita O’Driscoll

Danke, Aşkın, Regina und Elias, dass ihr mit uns eure Erfahrungen, Meinungen und Eindrücke geteilt habt. Mir ist insbesondere das Gleichnis mit dem Muskel der Antidiskriminierung im Kopf geblieben: Ich finde es super, dass der VFLL hier zu den ersten Fitnessstudio-Sessions geladen hat, und ich würde mich freuen, wenn ich weiterhin hier (und natürlich auch anderswo) trainieren darf. Be the change you want to see.

Text: Mona Jakob
Redaktion: Katja Rosenbohm
Korrektorat: Sibylle Schütz
Beitragsbild: boaphotostudio /pixabay


1 In diesem Beitrag werden Schwarz und weiß groß bzw. kursiv geschrieben, um zu markieren, dass es sich bei diesen Bezeichnungen nicht um tatsächliche (Haut-)Farben handelt, sondern um Konstrukte einer rassistisch geprägten Kultur. Siehe Natasha A. Kelly (Hg.): Schwarzer Feminismus. Grundlagentexte. Unrast Verlag 2019.


Gäste auf dem Podium:
Aşkın-Hayat Doğan
Regina Feldmann
Elias Mateo


Mona Jakobs Profil im VFLL-Verzeichnis


Mehr Infos zur Regionalgruppe Niedersachsen auf der VFLL-Website


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